Unweit der Touristenmetropolen hausen Roma in einem Lager

Ein Slum in der Provence

Knietiefe Schlaglöcher, zerbrochene Fenster in den Wohnwagen, Haufen mit Elektroschott: diesen Fleck in Südfrankreich nennen 150 Roma ihre Heimat. «Ich kämpfe für ihre Würde», sagt der Caritasvertreter vor Ort.

Autor/in:
Annika Jöres
 (DR)

Loiseau hat Angst um seine Schützlinge

Philippe Loiseau ist ein groß gewachsener, bärtiger Mann und arbeitet für den französischen Caritasverband Secours catholique. Dort betreut er unter anderem die Roma auf ihrem abgelegenen Stück Land. Aber seitdem im Juli Staatspräsident Nicolas Sarkozy hartes Vorgehen gegen illegale Lager ausländischer Roma anordnete, hat er Angst um seine Schützlinge.



"Sie haben ein Recht, hier zu leben", sagt er. Für ihn bedeutet Barmherzigkeit, den Bedürftigen Hilfestellungen zu geben, sie zu informieren und vor Vorurteilen zu schützen. "Aber es ist nicht barmherzig", so der gelernte Telefontechniker, "ihnen einfach Geld oder Sachen zu schenken".



Hilfe bei der Jobsuche

Die Roma hängen an den Lippen von ihrem "Philippe", den sie sogar manchmal gegen seinen Willen "Pere", Vater, nennen. Er kümmerte sich um Wasseranschlüsse und Müllcontainer und hilft bei der Jobsuche.



"Der französische Staat erschwert ihnen den Zugang zur Gesellschaft", sagt er, sieht aber zugleich auch die Roma in der Pflicht. Zwar wollten sie sich integrieren, gingen dann aber "mit wallenden Röcken und schwarz gefärbten Zähnen zum Vorstellungsgespräch".



Staubige Trümmer statt Caravans

Wenn die Roma vom Gelände vertrieben werden sollten, war der 58-Jährige stets an ihrer Seite. Viermal binnen sechs Jahren war das der Fall; einmal rückte die Polizei mit rund zwei Dutzend Autos und zwei Bulldozern an. Die Familien sind noch heute schockiert. "Mein Sohn Toma hatte tagelang Durchfall", erzählt Dorina Moldovan und drückt zugleich ihre Handflächen Richtung Boden. Nach einer Stunde waren von den wackeligen Caravans und Bretterhütten nur noch staubige Trümmer übrig.



Die Gruppe zog weiter, bis sie die mehr als sechs Kilometer von der Innenstadt entfernte Wiese fand. Nur ein holpriger Feldweg führt zu dem Gelände, wo die Roma ein Jahr ohne Wasser und Strom lebten. Noch immer gibt es keine Toiletten; die Gemeinde Frejus möchte keine zur Verfügung stellen. Dies würde einer Akzeptanz der Roma auf dem Platz gleichkommen, vermutet Loiseau. Der Besitzer der Wiese, ein Immobilienmagnat in der Touristenstadt, hat Anfang Juli Anzeige erstattet. Die Roma müssen bis Ende Januar weiterziehen und möglicherweise nicht nur das Gelände, sondern auch das Land verlassen.



Die Kinder sollen es mal besser haben

"Es wäre schrecklich, abgeschoben zu werden", sagt Elena Moldovan und schüttelt den Kopf. Das elfjährige Mädchen mit dem dicken Haarzopf ist die erste aus ihrer Familie, die eine Schule besucht.



Auch ihr Bruder Toma ist inzwischen eingeschult. "Ich kenne doch niemanden dort", sagt Elena. "Dort" ist Rumänien, ein für Elena völlig fremdes Land. Sie möchte in Frankreich bleiben und später Lehrerin werden. "Sie soll es besser haben als wir", hofft Dorina Moldovan, ihre Mutter.



"Ich bin ein bißchen anders"

Die Roma erzählen ungern von ihrer Geschichte. Es scheint, als wollten sie nicht die vielen Vorurteile bestätigen, die seit Sarkozys Vorstoß verstärkt kursieren. Aber Philippe Loiseau weiß, dass es für Elena und andere Roma-Kinder schwierig ist, Freunde in der Schule zu finden. Besorgte Eltern schicken ihre Kinder nur ungern auf das verdreckte Gelände. "Ich bin ein bisschen anders", sagt sie leise.



Vor allem lebt Elena anders. Nur 10 der etwa 150 Personen haben eine reguläre Arbeit. Manche gehen betteln, andere lesen Elektroschrott am Straßenrand auf, zerlegen und verkaufen ihn weiter. Viele Familien suchen in den Müllcontainern der umliegenden Supermärkte nach einem Abendessen. Loiseau hat sie schon "grünes Fleisch" zubereiten und essen sehen. "Sie haben nie wie normale Bürger leben können", sagt er. Er hofft auch weiter darauf, dass die Stadt den Roma vor der Räumung im Januar ein offizielles Gelände zuteilt.



"Darin setze ich all meinen Glauben und meine Hoffnung."