Der UN-Ruanda-Gerichtshof muss seine Strafprozesse bis Ende 2011 abschließen

Tribunal unter Zeitdruck

In drei Monaten hatten 1994 in Ruanda Hutu-Extremisten mehr als 800.000 Angehörige der Tutsi-Minderheit und gemäßigte Hutu ermordet. In genau einem Jahr, Ende 2011, soll Schluss mit den Ruanda-Prozessen sein. Aber noch laufen 20 Strafverfahren gegen mutmaßliche Drahtzieher des Völkermords. Dem Gericht läuft die Zeit davon

Autor/in:
Elvira Treffinger
 (DR)

Sir Dennis Byron ist ein höflicher Herr aus der Karibik, der gerne mal einen Scherz macht. Auftritte vor internationalem Publikum nutzt der 1943 geborene Richter zu flammenden Appellen: "Setzen Sie Ihre Polizei ein, nehmen Sie Verhaftungen vor", sagt dann der Jurist aus dem Inselstaat St. Kitts und Nevis. Byron ist Präsident des Ruanda-Tribunals, das Verantwortliche des Völkermords von 1994 zur Rechenschaft zieht. Er hat Sorgen: Dem Gericht im tansanischen Arusha läuft die Zeit davon.



Zehn der in Arusha Angeklagten sind noch flüchtig. Darunter ist der frühere ruandische Verteidigungsminister Augustin Bizimana. Auch der Geschäftsmann Félicien Kabuga gehört dazu, der den Völkermord finanziert haben soll und sich offenbar in Kenia aufhält, wo er Schutz genießt.



Das Mandat des 1994 gegründeten Gerichts, das die Vereinten Nationen rund 120 Millionen US-Dollar pro Jahr kostet, wurde mehrfach verlängert. Wenn Ende 2011 alle Prozesse der ersten Instanz beendet sein werden, gewährt der UN-Sicherheitsrat noch zwei Jahre für Berufungsverfahren. "Wir fahren unsere Aktivitäten herunter, obwohl unsere Arbeitslast im Moment extrem hoch ist", sagt Byron.



Skeptische Menschenrechtsorganisationen

Bei Menschenrechtsorganisationen wächst die Skepsis. "Wir sind besorgt, wie schnell die anhängigen Verfahren durchgepeitscht werden sollen", sagt Leonie von Braun, Völkerstrafrechtsexpertin bei Amnesty International. "Wenn nicht sauber gearbeitet wird, kann das den Angeklagten in die Hände spielen." Am Ende müssten Schuldige freigesprochen werden.



Das Tribunal in Arusha erhob 92 Anklagen und fällte bisher 53 Urteile: 45 Angeklagte wurden zu Haftstrafen verurteilt, acht freigesprochen. Unter Zeitnot versuchen die Richter, Verfahren an mehrere Länder zu übertragen. Frankreich übernahm zwei Fälle. Drei Verfahren soll möglicherweise Ruanda übernehmen, obwohl der Justiz dort Parteilichkeit vorgeworfen wird.



Darunter ist der Fall des Pfarrers Jean Bosco Uwinkindi, der im Juli in Uganda verhaftet wurde. Die Anklage ließt sich wie ein Buch des Grauens. Der Pastor einer Pfingstkirche bei Kigali war 1994 als Parteigänger der Hutu-Extremisten bekannt, der Hass gegen die Tutsi-Minderheit predigte. Er soll Killertrupps angeführt haben, die Schutzsuchende töteten und bis in die Sümpfe verfolgten. "Im Juli 1994, als Pastor Uwinkindi Ruanda verließ, wurden annähernd 2.000 Leichen in der Umgebung seiner früheren Kayenzi-Kirche gefunden", heißt es in der Anklage.



Historisches und der Blick nach Deutschland

Es gibt weit mehr Verdächtige, als Arusha jemals aburteilen könnte. Gerichtspräsident Byron schaut deshalb auch nach Deutschland. Das Frankfurter Oberlandesgericht entscheidet demnächst, ob ein Prozess gegen Onesphore Rwabukombe eröffnet wird. Dem ehemaligen Bürgermeister der nordruandischen Gemeinde Muvumba wird vorgeworfen, sich an mehreren Pogromen beteiligt zu haben. Er war im Juli im Rhein-Main-Gebiet verhaftet worden.



Das Runda-Tribunal hat Historisches geleistet: Am 2. September 1998 erging das erste Völkermord-Urteil vor einem internationalen Gericht in Arusha. Im Fall des ehemaligen Bürgermeisters der ruandischen Stadt Taba, Jean Paul Akayesu, wurde auch erstmals Vergewaltigung als Völkermord-Tatbestand gewertet. "Sexuelle Gewalt war ein Schritt im Prozess der Vernichtung der Tutsi-Gruppe", befanden die Richter. Es handele sich um die "Zerstörung des Geistes, des Lebenswillens und des Lebens selbst".



Chefrichter Byron lässt auch in der Schlussphase des Tribunals nicht locker. Er drängt zur Verhaftung der gesuchten mutmaßlichen Kriegsverbrecher, auch wenn sein Tribunal die Prozesse nicht mehr führen kann, sondern die Anklageschriften anderen Gerichten übergeben müsste. Seine Sorge ist, "dass die Täter von Ruanda ihrer Bestrafung entgehen.