Erzbischof Zollitsch lobt "Bürger mit Mut und Zivilcourage"

"Wutbürger" als "Un-Wort des Jahres"

Der zum Wort des Jahres 2010 gewählte Begriff "Wutbürger" sollte aus Sicht von Erzbischof Robert Zollitsch "eher zum Un-Wort des Jahres gekürt werden". Zwar sei die Empörung vieler Menschen ernst zu nehmen, wenn politische Entscheidungen über ihren Kopf hinweg getroffen würden, schreibt der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz in einem Beitrag für das "Offenburger Tageblatt". Doch Wut sei ebenso wenig ein guter Ratgeber wie Angst und Resignation.

 (DR)

Deutschland braucht nach den Worten des Freiburger Erzbischofs keine "Wutbürger", sondern "Bürger mit Mut und Zivilcourage". Sie sollten sich "engagiert, aber ohne Aggression, unerschrocken, aber mit Weitblick für eine lebenswerte, friedliche und menschenwürdige Zukunft unseres Landes einsetzen". Je mehr es gelinge, die Grundfragen des Lebens und Zusammenlebens wach zu halten, desto mehr werde die Zahl der Wutbürger abnehmen und die der Mutbürger zunehmen. Es gehe letztlich um die Frage: "Woran glauben wir Menschen, auch und gerade die, die auf den ersten Blick nicht glauben?"



Glaube und Vertrauen sind nach Meinung Zollitschs Grundkategorien des Menschseins, ohne die eine Gesellschaft zu einer Ansammlung von Egoisten zu werden droht. Der Besuch von Papst Benedikt XVI. in Deutschland 2011 könne Anlass sein, neu die Frage nach Gott und den tragenden Werten der Gesellschaft zu diskutieren. Trotz des Aufschwungs stehe das Wirtschafts- und Solidarsystem auf tönernen Füßen. Die Staatsverschuldung habe eine Rekordhöhe erreicht, die künftige Generationen tragen müssten. Deshalb sei es wichtig, "die Grundfragen unseres Lebens und Zusammenlebens wach zu halten".



Deutsch-französischer Ausgleich wurzelt in der Bibel

Die deutsch-französische Aussöhnung und Freundschaft nach dem Zweiten Weltkrieg hat Zollitsch als visionär gewürdigt: "Wer hätte denn 1918 oder 1945 gedacht, dass einmal Deutsche und Franzosen friedlich als Nachbarn leben könnten, dass ihre beiden Spitzenpolitiker gemeinsam durch das gotische Münster in Freiburg gehen", sagte er im "Wort zum Sonntag" auf SWR 2 mit Blick auf den gemeinsamen Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Staatspräsident Nicolas Sarkozy in der Kathedrale.



Sie hätten sich an einem Ort getroffen, der auch gemeinsames christliches Erbe symbolisiert, sagte der Freiburger Erzbischof und Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der die beiden Politiker am 10. Dezember zu einem Rundgang in dem Gotteshaus empfangen hatte. Der fast unbeschädigte Münsterturm sei nach dem Zweiten Weltkrieg ein Symbol der Hoffnung und des Wiederaufbaus gewesen, so Zollitsch weiter. Die Kraft zu Neubeginn und Aussöhnung mit den Nachbarvölkern gründet nach seinen Worten auch im Christentum: "Diese Vision wurzelt auch in der christlichen Friedenssehnsucht, die in der Bibel über die Jahrhunderte hinweg auf vielfältige Weise ausgedrückt wird."