Brasiliens Katastrophenregion auf der Suche nach neuer Hoffnung

Eine Kapelle blieb stehen

Auf über sechs Kilometern Länge suchte sich am 11. Januar eine meterhohe Flutwelle ihren Weg durch das enge Tal am Rande der Gebirgsstadt Teresopolis. Mit sich brachte sie Felsbrocken so groß wie Autos, riesige Baumstämme und Schlamm. Nichts konnte die entfesselte Natur aufhalten. Aber die Kapelle Sao Sebastian steht noch.

Autor/in:
Thomas Milz
Ein Wunder: Pfarrer Alan Rodrigues vor der Sao Sebastiao Kapelle (KNA)
Ein Wunder: Pfarrer Alan Rodrigues vor der Sao Sebastiao Kapelle / ( KNA )

Der weiter oben im Tal gelegene Stadtteil Campo Grande wurde von der Flutwelle überrollt und buchstäblich ausradiert.  Um Pfarrer Alan Rodrigues hat sich eine kleine Schar von Anwohnern versammelt, die Trost und Erklärungen suchen. "Es ist ein wahres Wunder Gottes, anders kann man es nicht deuten", sagt der Geistliche. Im Hintergrund ragt die kleine Kapelle Sao Sebastian trotzig aus dem Geröll heraus, das in jener albtraumhaften Nacht vor gut zwei Wochen aus den Bergen kam.



Gegen ein Uhr morgens begann es in der Nacht des 11. Januar in der Bergregion gut eine Autostunde nördlich von Rio de Janeiro heftig zu regnen. Die für den gesamten Januar erwartete Regenmenge stürzte, von Blitzen und Donner begleitet, innerhalb von nur zwei Stunden auf die bereits von früheren Regenfällen durchtränkte Erde. Gegen drei Uhr rutschten die ersten Hänge ab. Granitfelsen rissen Wald und Erde mit sich, das von allen Seiten herabstürzende Regenwasser trieb die Geröllwelle durch die Täler. Häuser brachen zusammen, Menschen trieben um Hilfe schreiend durch die stockfinstere Nacht.



Kapelle rettet Familien

Weiter unten im Stadtteil Posse hörten die entsetzten die Welle heranrollen. Eine Handvoll Familien flüchtete in die Kapelle, verschloss die Türen, betete - und wurde gerettet. Die Gerölllawine erreichte die Kirchtür, blieb dann allerdings stehen. Viele Menschen kämen nun zum Glauben zurück, denn dies sei ein Moment gewesen, um die wahrhaftigen Werte neu zu entdecken, meint Pfarrer Rodrigues.



400 Leichen wurden bisher alleine in Teresopolis geborgen. Im gesamten Katastrophengebiet kamen 850 Menschen ums Leben, mehr als 500 gelten als vermisst. Viele Tote werde man nie finden, vermuten Helfer, die sich mühsam durch die Trümmerwüste kämpfen. Wo die Felsen die Häuser nicht erreichten, haben Wasserfluten sie zerrissen; eine zwei Meter hohe Schlammschicht hält bislang alles begraben. Mehr als 20.000 Menschen haben kein Heim mehr, warten in Turnhallen und Gemeindehäusern der Region auf Hilfe.



"Wir helfen einander so gut es geht"

Das Gemeindehaus der Kirche Sao Cristovao im Stadtteil Fonte Santa hat 67 Menschen aufgenommen. Dank der Spendenbereitschaft der Menschen in Teresopolis fehlt es ihnen weder an Nahrung noch Kleidung. "Wir helfen einander so gut es geht," sagt Graciane da Conceicao Anisio, die mit ihren zwei kleinen Kindern auf einer breiten Matratze im Gemeindesaal schläft. Sie hat die Nacht in Campo Grande überlebt, anders als sieben ihrer Angehörigen. Dorthin zurück will sie nicht mehr. Sie braucht einen Neuanfang.



"Die Menschen kommen jetzt in eine zweite Phase der Bewältigung," erklärt Pfarrer Thiago de Freitas, der Gemeinde Sao Cristovao vorsteht. "In den ersten zwei Wochen standen sie unter Schock, doch jetzt realisieren sie, was passiert ist und beginnen, sich Sorgen um ihre Zukunft zu machen." Ehrenamtliche Psychologen stehen den Menschen zur Seite, helfen ihnen, ihre Ängste zu überwinden. "Wir müssen ihnen Hoffnung geben", sagt Freitas "Und ein zentrales Motiv unseres Glaubens ist nun einmal die Auferstehung Christi. Auch wir können trotz aller Schwierigkeiten unsere eigene Auferstehung erreichen."



Die Regierung verspricht Sozialwohnungen. Bis die neuen Heime bezugsfertig seien, werde es für die Familien Wohngeld geben. Doch die Umsetzung dieser Versprechen dauert. So ruht die Hoffnung der Menschen vor allem auf der Kirche. "Die Kirchen machen derzeit die Arbeit der Politiker mit. Die christliche Solidarität ist einfach viel größer als die Kraft der Regierenden," meint Pfarrer Rodrigues. "Und dabei gibt es keine Unterschiede mehr zwischen den einzelnen Glaubensrichtungen, den Katholiken, Protestanten und Pfingstkirchlern." Die Gläubigen seien durch diese Katastrophe vereint worden, und "das ist das Positive an diesem Ereignis".