Politik und technische Innovation prägen die 61. Berlinale

Der leere Stuhl

Im Mittelpunkt der heute beginnenden Berliner Filmfestspiele wird in diesem Jahr wohl ein Abwesender stehen: der iranische Filmemacher Jafar Panahi. Er ist offizielles Mitglied der internationalen Wettbewerbsjury. Doch wurde er im Dezember zu sechs Jahren Haft und 20 Jahren Berufs-, Interview- und Reiseverbot verurteilt.

Autor/in:
Christoph Scholz
 (DR)

Eine Revision der drakonischen Strafe steht zwar noch aus. Doch gilt sein Kommen als unwahrscheinlich. Damit dürfte sein Sitzplatz im Festivalpalast von Freitag bis zum 20. Februar frei bleiben. Ein symbolischer Protest gegen das totalitäre Regime im Iran.



Am 11. Februar, dem Jahrestag der iranischen Revolution, kommt Panahis Film "Offside" zur Aufführung. Damit wird die 61. Berlinale erneut - wenn auch unfreiwillig - ihrem Ruf als das politische Festival unter den großen Filmfestspielen gerecht. Und doch steht es diesmal für cineastische und künstlerische Innovation. "Viele Türen werden aufgestoßen: In die Zukunft des Kinos als Kunstform, die noch längst nicht alle Häutungen und Veränderungen hinter sich hat." So sieht es der Festspieldirektor Hans-Dieter Kosslick.



Choreographin Pina Bausch in 3D

Das 3D-Kino hält gleich mit drei großen Beiträgen Einzug in den Wettbewerb. Der deutsche Starregisseur Wim Wenders bringt in diesem Format mit "Pina" einen Tanzfilm über die 2009 verstorbene Choreographin Pina Bausch auf die Leinwand. Ferner präsentiert Werner Herzog in "Cave of Forgotten Dreams" die Höhlenmalereien im südfranzösischen Chauvet-Pont-d"Arc in 3D. Und auch der Animationsfilm "Les contes de la nuit" nutzt die neue Technik.



Insgesamt laufen 22 Filme im Wettbewerbsprogramm, darunter 16 Weltpremieren. Im Wettbewerb um den Goldenen und die Silbernen Bären treten ebenfalls 16 Werke an. Deutschland ist mit zwei Beiträgen vertreten: Ulrich Köhler mit "Schlafkrankheit", die Entfremdungsgeschichte eines Entwicklungshelfers in Kamerun und Andreas Veiel, der in "Wer wenn nicht wir" der Vorgeschichte der RAF nachgeht. Zu Eröffnung zeigen die Gebrüder Joel und Ethan Coen ihr Klassiker-Remake "True Grit" mit Jeff Bridges und Matt Damon. Der Western kommt gleich mit mehreren Oscar-Nominierungen nach Berlin.



Schauspielstars auf dem roten Teppich

Der Wettbewerb zeichnet sich in diesem Jahr aber weniger durch Starregisseure des internationalen Kinos aus, als eher durch Spielfilmdebüts. So bringt der bekannte britische Schauspieler Ralph Fiennes mit der Shakespeare-Verfilmung "Coriolanus" sein erstes Regiestück zur Aufführung. Auf dem roten Teppich vor dem Festspielpalast werden zahlreiche weitere Schauspielstars erwartet, darunter Kevin Spacey, Jeremy Irons und Demi Moore. Sie spielen im Spielfilmdebüt des US-Regisseur JC Chandor "Margin Call" mit. Der Thriller spielt in den ersten Wochen der Finanzkrise in einer Investmentbank. Einen weiteren Thriller mit Starbesetzung "Unknown" (Unknown Identity) legt Jaume Collet-Serra vor: mit Liam Neeson, Diane Kruger und Bruno Ganz.



Jurypräsidentin ist die Schauspielerin und Regisseurin Isabella Rossellini, die Tochter der schwedischen Schauspielerin Ingrid Bergman und des italienischen Regisseurs Roberto Rossellini. Zu den Juroren gehört auch die deutsche Schauspielerin Nina Hoss, die 2007 den silbernen Bären als beste Darstellerin für "Yella" in dem Gleichnamigen Film von Christian Petzold erhielt. Der Zuspruch des Publikums ist weiterhin ungebrochen. So stieg in diesem Jahr die Zahl der Vorführung mit 925 ein weiteres Mal gegenüber dem Vorjahr mit 834. Insgesamt kommen 385 Filme zur Aufführung, darunter allein hundert deutsche Produktionen.



Zu den Neuheiten rund um die Festspiele gehört in diesem Jahr auch erstmals eine Live-Übertragung des "Berlinale-Gottesdienstes" aus der katholischen Kirche Heilig Kreuz am Sonntag um 9.30 Uhr im ZDF. Er steht unter dem Motto: "Und das Wort ist Film geworden?" Explizit religiöse Stoffe bringt der Wettbewerb nicht. Allerdings spiegelt sich in vielen Beiträgen die existenzielle Auseinandersetzung mit der religiösen Dimension des Menschen. Das gilt nicht zuletzt für das Schaffen des 2007 verstorbenen schwedischen Regisseurs Ingmar Bergman. Ihm ist die diesjährige Retrospektive gewidmet.



Zum 20. Mal Ökumenische Jury

Die beiden großen Kirchen werden auch die 61. Berlinale mit verschiedenen Veranstaltungen begleiten. In diesem Jahr sind sie zum 20. Mal mit einer Ökumenischen Jury vertreten. Aus Anlass der Filmfestspiele überträgt das ZDF außerdem am Sonntag um 9.30 Uhr einen Gottesdienst aus der Kirche Heilig-Kreuz in Berlin-Wilmersdorf. Er steht unter dem Motto "Und das Wort ist Film geworden?".



Ferner laden die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und die Deutsche Bischofskonferenz am Sonntagabend zum Ökumenischen Filmempfang in die Katholische Akademie. Zur Jubiläumsfeier der kirchliche Filmarbeit werden der Vorsitzende der Publizistischen Kommission der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Gebhard Fürst, und die Kulturbeauftragte der EKD, Petra Bahr, sowie zahlreiche Gäste aus Politik, Kultur und Filmschaffen erwartet. Hauptrednerin ist die Vorsitzende des Bundestagskulturausschusses, Monika Grütters (CDU).



Die erste Ökumenische Jury war 1992 nach Gesprächen der Vertreter der kirchlichen Filmarbeit mit dem damaligen Festivalleiter Moritz de Hadeln eingerichtet worden. Die Präsenz der Kirchen bei der Berlinale reicht allerdings weiter zurück. Seit 1954 gab es eine katholische, seit 1963 auch eine evangelische Jury.



In den Jahren der ökumenischen Zusammenarbeit seit 1992 wurden insgesamt 79 Filme mit Preisen und lobenden Erwähnungen ausgezeichnet. Einige von ihnen fanden nach ihrem Festivalerfolg auch Eingang in die kirchliche Bildungsarbeit, wie etwa "Dead Man Walking" von Tim Robbins und "Sophie Scholl - Die letzten Tage" von Marc Rothemund.