Kardinal Meisner zum Theologen-Memorandum

Im Wortlaut

In meinem bischöflichen Dienst – immerhin seit fast 36 Jahren – ist mir selten eine Kundgabe von theologischer Seite bekannt geworden, die mich so erschrocken und betrübt hat wie dieses Memorandum. Es beurteilt die jetzige Lage der Kirche mit Zustandsbeschreibungen und Forderungen, denen man fast in jedem Punkt widersprechen bzw. Korrekturen entgegensetzen müsste.

 (DR)

Dass ich mich dazu äußere, ist bereits ein erster Widerspruch: Denn zum ersten und wichtigsten Dienst des Amtes in der Kirche gehört: die Wahrheit Christi zu verkündigen, "ob man es hören will oder nicht" (2 Tim 4,2). Diese Verkündigung ist keineswegs nur eine "biblische Freiheitsbotschaft", sondern in der Kraft des Heiligen Geistes das Weitergeben und Weiterreichen von Wort und Gnade des menschgewordenen Gottessohnes.



Dass das Herrenwort "Wer euch hört, hört mich" (Lk 10,16) gerade die bestellten Boten in die Pflicht nimmt, müssten wissenschaftlich arbeitende Theologen zu werten wissen. Demgegenüber kann man Sorgen und Kritik nicht so einbringen, als ginge es um irgendeine menschliche Institution. Ein fruchtbares innerkirchliches Gespräch kann nur dann gelingen, wenn man die Kirche in ihrem tiefsten Wesen bejaht: Sie ist der fortlebende Christus und somit das "universale Heilssakrament" (2. Vaticanum, Kirchenkonstitution 48). Wenn man sie so in den Blick nimmt, dann beurteilt man die jetzige "Krise" weitgehend anders als in dem Memorandum. Dass es vor allem die Defizite im Glaubenswissen und die weitverbreiteten Mängel im Glaubensleben sind, sollte die Theologen zum Nachdenken bringen, inwieweit gerade auch von einigen in ihren Reihen ein unguter Einfluss auf die Brüder und Schwestern im Glauben feststellbar ist - man werfe nur einen Blick auf manches, was im Religionsunterricht vermittelt wird!



Meine größte Sorge kann ich nicht verschweigen: Wie kann ich künftige Priester, Diakone, Religionslehrer und seelsorglich Tätige Lehrern anvertrauen, deren Leben in und mit der Kirche defizitär ist!



Köln, den 21. März 2011

+ Joachim Kardinal Meisner, Erzbischof von Köln