Katholischer Bischof über 20 Jahre Wiederaufbau in Russland

"Es hat sich viel gebessert"

Russlands Katholiken feiern am Mittwoch den 20. Jahrestag der Wiedererrichtung der Kirchenhierarchie in dem Land. Der stellvertretende Vorsitzende der Russischen Bischofskonferenz, der deutsche Bischof Clemens Pickel, zieht eine Bilanz.

 (DR)

KNA: Herr Bischof, am 13. April 1991 begann mit der Errichtung von zwei Apostolischen Administraturen der Wiederaufbau der katholischen Kirchenstrukturen in Russland.

Pickel: Davor gab es keine Kirchen, keine Priester, also keine Kommunion, keine Beichte, keine Predigt, keine christliche Literatur - und das seit drei Generationen. Dennoch hatten Christen gewartet, dass eines Tages wieder ein "Pader" - wie die Wolgadeutschen sagen - kommt. Aber ich glaube, lange wäre das nicht mehr gut gegangen. Ich freue mich und bin dankbar, dass die Freiheit und die Apostolischen Strukturen noch rechtzeitig kamen, und dass wir Ausländer unseren unbeschreiblich schwer geprüften Brüdern und Schwestern zu Hilfe kommen konnten.



KNA: In Ihrer Bistumsverwaltung im fünften Stock eines Hochhauses arbeiten nur zwei Ordensschwestern. Der Generalvikar ist 400 Kilometer entfernt als Gemeindepfarrer beschäftigt. Welche für Deutschland ungewöhnlichen Dinge erledigen Sie als Bischof, außer selbst am Steuer Ihres Dienstwagens zu sitzen?

Pickel: Es ist wirklich sehr anders, hier Bischof zu sein, als in Deutschland. Ich kaufe die Flugtickets und Bahnfahrkarten selbst, bringe das Auto zur Autowäsche, hole manchmal Pakete von der Post, weil man persönlich kommen muss, melde mich bei jeder Auslandsreise bei der Polizei ab.



KNA: Wie bewältigen Sie das?

Pickel: Ich beneide meine Mitbrüder in Deutschland nicht um ihre Terminkalender, Gremien und Beifahrersitze. Man kann es nicht vergleichen und sagen, dort oder hier wäre mehr Arbeit. Wenn wir davon ausgehen, dass Christus uns angeworben hat, dann dürfen wir auch davon ausgehen, dass er über unseren Kräftehaushalt ganz gut informiert ist und das Richtige daraus macht.



KNA: 1991, als Sie Pfarrer in Marx an der Wolga wurden, gab es sehr optimistische Prognosen. Etwa, dass Russland nur für die ersten Jahre des Neuanfangs auf ausländische Priester angewiesen sei und es dann genug einheimische Seelsorger gebe. Wie schnell wächst der Anteil der Geistlichen mit russischem Pass?

Pickel: Ganz langsam. Ich habe inzwischen 4 einheimische katholische Priester, die mit 41 ausländischen zusammenarbeiten. Im Priesterseminar hat unser Bistum zurzeit keinen einzigen Studenten. Kaputte Familien, Zeitgeist, Auswanderung der Katholischstämmigen sind die Gründe.



KNA: Problematisch ist die hohe Zahl ausländischer Priester und Ordensfrauen vor allem wegen der russischen Visabestimmungen, die oft nur zu einem mehrmonatigen Aufenthalt berechtigen. Gibt es da Fortschritte?

Pickel: Ja. Die Probleme begannen, als das Ausländergesetz vor ein paar Jahren Quoten einführte und Aufenthaltszeiten begrenzte. Das gibt es in anderen Ländern auch. Es hat sich viel gebessert, besonders in den vergangenen zwei Jahren, etwa seitdem der Vatikan und die Russische Föderation volle diplomatische Beziehungen unterhalten.



KNA: Welchen Herausforderungen steht die katholische Kirche heute in Russland gegenüber?

Pickel: Mehr und mehr den gleichen wie im Westen. Wertekrise, Säkularisation, Pseudoreligionen. Hinzu kommt das Problem, dass der Mensch nun mal aus Leib und Seele besteht, so dass Seelsorge ohne materielle Mittel nicht geht: Um eine 200 Kilometer entfernte Außenstation regelmäßig zu besuchen, brauche ich ein Auto und Geld fürs Benzin. Um Kinderferienlager zu organisieren oder einen Raum für die Gottesdienste zu bauen oder zu mieten; um richtige Fenster einzusetzen, wo man bisher immer im Herbst die Ritze mit Zeitungspapier und Tapetenkleister zugeklebt hat; um Obdachlose effektiv zu betreuen oder die Mitarbeiter zu schulen: Für alles braucht man Geld. Und unsere Kollekten sind klein, nicht weil die Leute geizig wären. Gut, dass es Renovabis, Kirche in Not und Caritas gibt! Als katholische Kirche in Russland werden wir jedoch für viele immer Fremde bleiben. Russland ist orthodox.



KNA: Warum will der russische Staat an den Schulen nur orthodoxen, islamischen, buddhistischen und jüdischen Religionsunterricht einführen, aber eben keinen katholischen? Wird die katholische Kirche diskriminiert?

Pickel: Nein. Ich denke, das ist logisch. Von der Einführung eines katholischen Religionsunterrichts an den Schulen kann keine Rede sein, weil wir die Lehrer dafür nicht stellen könnten. Wir sind weniger als ein Prozent. Zu Sowjetzeiten hat man diskriminiert, verfolgt, eingesperrt und ermordet.



Darum geht es auch so schwer mit dem Experiment des orthodoxen Religionsunterrichts in den Schulen. Die nötigen Lehrer sollten vergangenes Jahr in Crashkursen darauf vorbereitet werden. Ich habe von manchen gehört, die nach Hause kamen und das Gefühl hatten, sie waren auf einer Schulung, die von A bis Z in einer geheimnisvollen Fremdsprache gehalten wurde. Der christliche Wortschatz war weg! Seit 20 Jahren mühen wir uns, die Wunden des gottes- und menschenfeindlichen Totalitarismus zu heilen. Es ist sehr mühsam, obwohl hier ein Schwerpunkt unserer Pastoral liegt: das Christwerden der Laien, mit all seiner Verantwortung.



KNA: Erprobt wird auch ein Wahlfach über alle Weltreligionen. Kommt da die katholische Kirche zum Zug?

Pickel: Allgemeine Religionskunde erzieht zwar zur Toleranz, aber auch - wenn sie das Einzige bleibt - zur Indifferenz. Ich denke, wenn der orthodoxe Religionsunterricht gut wird, brauchen wir keinen eigenen in den Schulen. In den Pfarrgemeinden schon! Ich stamme aus der DDR und weiß das zu schätzen.



KNA: Wie steht es gegenwärtig um die Beziehungen zwischen Katholiken und Russisch-Orthodoxen? Zuletzt gab es Streit, weil das Regionalparlament von Kaliningrad die dortige ehemalige katholische Pfarrkirche den Orthodoxen zusprach.

Pickel: Die Geschichte mit Kaliningrad ist eine wirklich traurige Sache. Man darf sie aber nicht verallgemeinern. Auf höchster Ebene sind die Beziehungen zwischen Vatikan und Moskauer Patriarchat inzwischen sehr angenehm. Zwar habe ich noch nie eine Anfrage von amtlicher orthodoxer Seite erhalten. Wenn ich aber um etwas bitte, ein Treffen, einen Rat, eine Ikone habe ich es bisher immer bekommen. Freundschaft ist möglich, darf ich aus Erfahrung sagen.

Auch hier gilt: Es geht alles sehr langsam.



KNA: Was würden Sie sich von einer möglichen ersten Begegnung des russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill I. und Papst Benedikt XVI. versprechen?

Pickel: Dass sie zusammen beten, hoffentlich.



KNA: Wie sehen Sie die Chancen für ein solches historisches Treffen?

Pickel: Es geht hier ja leider nicht nur um das Treffen von zwei Menschen. Sonst hätten sich die beiden längst treffen können. Auf ihren Schultern liegen Dogmatik, Kirchengeschichte und menschliche Unzulänglichkeiten eines ganzen Jahrtausends. Wenn man jedoch weiter wartet, bis es keine offenen Fragen mehr gibt, dann heißt das, wir werden bis zur Wiedervereinigung warten. Das wäre schade.



Interview: Oliver Hinz