Margot Käßmanns souveräner Auftritt als Gastmoderatorin

Wie eine alte Häsin

Als Experiment konnte man das kaum bezeichnen, schließlich brachte die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland viel Fernseherfahrung mit - wenn auch natürlich nur als Gast. Tatsächlich absolvierte die Theologin ihren ersten Auftritt als Moderatorin einer TV-Talkshow mit bemerkenswerter Souveränität.

Autor/in:
Tilmann P. Gangloff
 (DR)

"3 nach 9" war beim Sendstart 1974 zwar nicht die erste deutsche Talkshow; aber die erste, die sich ausdrücklich nicht an Vorbildern aus dem US-Fernsehen orientieren sollte. Abgesehen von kleinen Justierungen ist sich Radio Bremen bei der Live-Sendung bis heute immer treu geblieben, was Überraschungen allerdings nicht ausschließt: Weil Judith Rakers wegen der Moderation des Düsseldorfer "Eurovision Song Contests" verhindert war, engagierte der kleine Sender kurzerhand Margot Käßmann als Ersatzfrau.



Sollte sie aufgeregt oder nervös gewesen sein, so war davon zumindest nichts zu spüren; und das kann kaum daran gelegen haben, dass sie zuvor bereits dreimal Gast bei "3 nach 9" gewesen ist. Selbst Giovanni di Lorenzo war beeindruckt: "Wie eine alte Häsin", attestierte der "Zeit"-Chefredakteur seiner Ko-Moderatorin am Ende. Vor der Sendung, verriet er, sei ihre größte Sorge die Frage gewesen, wie sie den Sänger Lotto King Karl ansprechen solle: Herr Lotto, Herr King oder Karl? Aber da sie die Frage geschickt ins Gespräch einflocht, war sie rasch beantwortet ("einfach "Lotto""). Natürlich war Käßmann anzumerken, dass sie diesen Job nicht schon seit Jahren macht. Zufallseinschalter, die die Talkshow nicht kennen, werden sich aber kaum gewundert haben.



Und wenn die Gastmoderatorin zwischendurch fremdelte, lag das sicher nicht an mangelndem Talent, sondern an fehlender Erfahrung. Was wirkliche "alte Hasen" mit Routine überspielen können, ist einer Novizin in diesem Metier eben deutlicher anzumerken. Dass die Ex-Bischöfin ihren Humor auch vor der Kamera nicht verliert, hat sie schon oft genug in Sendungen dieser Art bewiesen. Begeisterung für einen Gast zu markieren, der ihr fremd ist und das auch bleibt: Dieses typische Merkmal des permanent überdrehten Fernsehgewerbes liegt ihr allerdings sympathisch fern.



Mit dem früheren ARD-Journalisten Sven Kuntze und dessen Erfahrungen als Pensionär beispielsweise ließ sich trefflich plaudern, und als sich die Schauspielerin Sabine Postel aus Anlass des aktuellen "Tatort"-Krimis von Radio Bremen engagiert über das Schicksal der "Boat People" im Mittelmeer ausließ, war Käßmann naturgemäß in ihrem Element.



Spaß am Rollentausch

Echte Herausforderungen sind in Sendungen dieser Art aber die eher exotischen Gäste. Also tat Käßmann gar nicht erst so, als könne sie den Ausführungen Lotto King Karls mühelos folgen: In der Theologie, sagte sie, sei man ohnehin daran gewöhnt, einige Antworten auf seine Fragen erst später zu verstehen.



Das Gespräch mit Sophia Thomalla führte di Lorenzo, da nahm sich Käßmann, die sich vorher munter eingemischt hatte, eine längere Auszeit; vielleicht wusste sie schlicht nicht, was sie die Nachwuchsschauspielerin hätte fragen sollen. Aber intellektuelle Pausen gehören durchaus zum Konzept von "3 nach 9". Davon konnte bei Dominique Horwitz keine Rede sein: Diesen Teil der Show hätte Käßmann wiederum vermutlich gern übernommen, und das nicht nur, weil sie mit dem Schauspieler offenkundig die Liebe zu den Liedern Jacques Brels teilt.



Einen größeren Schwerpunkt hätte sie bei der Plauderei mit Ex-"Monrose"-Sängerin Bahar Kizil wohl auch gern auf deren Teilnahme an dem Pop-Oratorium "Die Zehn Gebote" gelegt, zumal die deutsch-türkische Muslimin natürlich ein wunderbarer Gegenentwurf zu den Thesen Thilo Sarrazins ist. Aber weder die theologischen noch die soziologischen Aspekte ließen sich vertiefen. Außerdem war einige Male zu merken, dass die Stellvertreterin neben di Lorenzo doch nur die zweite Geige spielt. Davon abgesehen aber hatte Margot Käßmann sichtlich Spaß am Rollentausch. Als Gastgeberin einer eigenen Sendung mit durchgängig höherem Anspruch kann man sich die Theologin durchaus vorstellen.