Zum 125. Todestag des Historikers Leopold von Ranke

Ein Mann macht Geschichte

Die Schaffenskraft von Leopold von Ranke galt schon zu Lebzeiten als legendär. Sein immenses Werk wurde im 19. Jahrhundert zu einem wichtigen Maßstab für die noch junge Zunft. Am 23. Mai 1886, vor 125 Jahren, starb der Historiker im hohen Alter von 90 Jahren in Berlin.

Autor/in:
Joachim Heinz
 (DR)

Auf späten Bildern machte Leopold von Ranke einen etwas derangierten Eindruck. Der große Gelehrte sah gegen Ende seines Lebens aus wie eine Mischung aus Sam Hawkens, dem Trapper aus der Winnetou-Trilogie mit dem leicht irren Blick, und dem bärtigen Kommunisten Karl Marx.

Doch der Eindruck täuscht. Der Mitbegründer der Geschichtswissenschaft in Deutschland war ein strammer Konservativer - mit messerscharfem Verstand. Bis kurz vor seinem Tod diktierte der fast vollständig erblindete "Vater der objektiven Geschichtswissenschaft" zwei "wissenschaftlichen Gehülfen" seine Sicht auf den Lauf der Dinge - Tag für Tag, acht Stunden lang.



Von der "Geschichte der romanischen und germanischen Völker" über "Die deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation" bis hin zur neunbändigen "Weltgeschichte": Der vom Autor angestrebte objektive Blick auf die Ereignisse gepaart mit seiner Erzählkunst sorgten dafür, dass seine Veröffentlichungen immer wieder Neuauflagen erlebten - bis in die unmittelbare Gegenwart. Ganz besonders gilt das für "Die römischen Päpste in den letzten vier Jahrhunderten". Hier zeigte sich der Sohn einer evangelischen Pfarrersfamilie nach Ansicht von Experten auf der Höhe seines Könnens.



Sendungsbewusstsein

Doch das zwischen 1834 und 1836 fertiggestellte Sittengemälde aus dem Innern der katholischen Kirche legte zugleich die Schwächen von Rankes Ansatz offen. Denn die unvoreingenommene Betrachtung von historischen Personen und Ereignissen, die mit dem Wunsch einherging, "mein Selbst gleichsam auszulöschen", ließ sich ehrlicherweise nur dann zumindest ansatzweise erzielen, wenn der Gegenstand der Betrachtung in möglichst weiter Ferne lag. Für den Protestanten Ranke blieben die geheimen Archive der Päpste verschlossen. Er musste auf das zurückgreifen, was seine später geborenen Kollegen "Sekundärquellen" nennen würden - und konnte auf diese Weise umso besser mit Stimmungen und selbst gewählten Eindrücken arbeiten.



An Sendungsbewusstsein mangelte es dem kleinwüchsigen Gelehrten, der "mit munterer, oft geradezu hastiger Geberde" durchs Leben eilte, dabei offenbar nicht. Für ihn offenbarte sich in der Geschichte das Wirken Gottes. Der Historiker hatte die Aufgabe, die Zeichen der Zeit als "heilige Hieroglyphen" zu deuten. Die fast schon kauzige Idee dahinter: Ranke wollte sich mit diesem Selbstverständnis gegen eine politische Instrumentalisierung der Vergangenheit zur Wehr setzen. Damals wie heute eine große Gefahr - der Ranke jedoch, glaubt man kritischen Stimmen, mit seinem frömmelnden Idealismus kein überzeugendes Konzept entgegensetzte.



Hohe Verdienste

Überhaupt: Das Verhältnis zur Macht und zu den Mächtigen gehörte offenbar nicht gerade zu den Stärken des Mannes, der 1865 in den preußischen Adelsstand erhoben wurde. Der sprachgewandte Plauderer soll Höherstehenden gerne nach dem Mund geredet haben, wenn er sich davon deren Aufmerksamkeit oder mehr versprach. Möglicherweise eine Erbe aus jungen Jahren, als sich der aus dem kursächsischen Städtchen Wiehe stammende Ranke ohne den Schutz einflussreicher Proteges seine akademische Laufbahn in Berlin erkämpfen musste.



Seine Verdienste bleiben ungeachtet seiner charakterlichen Eigenheiten enorm. Ranke war getrieben von der Leidenschaft, die inneren Zusammenhänge von zurückliegenden Ereignissen zu verstehen. Noch 1885, ein Jahr vor seinem Tod also, ließ er sich bei seinen Forschungen nur ungern stören. Nachdem der damalige Berliner Oberbürgermeister Max von Forckenbeck am 8. August dem Gelehrten in dessen Wohnung die Ehrenbürgerwürde der Stadt überreicht hatte, wandte sich der Historiker seinen Assistenten mit den Worten zu: "Und nun zurück zum Kaisertum Ottos III., mit dessen Ende ich eben beschäftigt war, als der Herr Oberbürgermeister kam."