"Zeit"-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo über seinen Glauben

"Kirche ist von meinem Leben nicht zu trennen"

"Nun sag, wie hast du's mit der Religion?", will Gretchen von Faust in Goethes Tragödie wissen. Der Hamburger Hauptpastor Johann Hinrich Claussen stellte die berühmte Gretchenfrage "Zeit"-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo – und erhielt erstaunlich persönliche Antworten.

Autor/in:
Sabine Kleyboldt
 (DR)

Hintergrund der Einladung am Montagabend in die Hauptkirche Sankt Nikolai ist das Buch "Wofür stehst Du?" von di Lorenzo und Co-Autor Axel Hacke über "die Werte, die uns heute antreiben". "Wir haben es geschafft, Thilo Sarrazin von Platz eins der Bestsellerliste zu vertreiben. Danach kann man als Journalist eigentlich sagen, jetzt ist das Leben vorbei", sagt der 52-jährige di Lorenzo, seit knapp sieben Jahren Chefredakteur der "Zeit". Bei den Lesungen quer durch Deutschland sei ein "unglaubliches Bedürfnis der Menschen nach Selbstverortung" zu spüren.



Als di Lorenzos Kindheit in Rom endet, ist er elf: Dem Versprechen seines italienischen Vaters, der deutschen Ehefrau und den beiden Söhnen bald nach Hannover zu folgen, traute er nicht: Die Eltern hatten sich getrennt. Ganz still ist es in der Nikolaikirche, als der versierte Moderator der Talkshow "3nach9" von seinen widrigen Anfängen im "fremden Universum Hannover" erzählt. Mit den italienischen Gastarbeitern am Hauptbahnhof kann sich der Heranwachsende ebenso wenig identifizieren wie mit manchen Mitschülern und Lehrern am humanistischen Gymnasium. Ob es in Rom richtige Häuser gebe oder nur Säulen und Kirchen, will einer wissen. Ein Lehrer fordert sogar, man solle "den Itaker" aufhängen; da war er gerade Schülersprecher geworden. "Ich merkte, dass es viel Kraft kostet, sich nicht mit den Augen derer zu sehen, die auf einen herabblicken."



Auf der Suche nach einem Stück Heimat wird di Lorenzo bei einem Zeitungspraktikum fündig: die deutsche Sprache. "Ich kann Menschen mit Migrationshintergrund nur empfehlen, sich auf den Hosenboden zu setzen, denn die Sprache ist die Grundlage zu allem", streut der Autor eine Erfahrung ein, die ihn nach Studium und verschiedenen journalistischen Stationen bis an die Spitze der wohl renommiertesten deutschen Wochenzeitung gebracht hat.



Austritt nie ein Thema

Viele hätten ihm als Chefredakteur angekreidet, dass er den Tod von Papst Johannes Paul II. im April 2005 in der "Zeit" ausführlich thematisierte. "Ich bin mein Leben lang nicht so gegrillt worden wie damals. Aber es ist bis heute kein Titel so häufig verkauft worden wie dieser." Er lege nicht nur bei redaktionellen Entscheidungen Wert auf Neutralität, betont der Vater einer dreijährigen Tochter: "Ich habe Angst davor, dass ein religiöses Bekenntnis als aufdringlich empfunden wird. Aber Kirche ist von meinem Leben nicht zu trennen." Und das, obwohl er einst beim Religionsunterricht in Rimini für die Verteidigung seiner protestantischen Verwandtschaft vom Lehrer aufgefordert wurde, zur Mutter Gottes zu beten, damit der Teufel nicht von ihm Besitz ergreifen möge.



Trotz Phasen des Zweifels, trotz massiver Verfehlungen der Kirche: Auszutreten sei ihm nie in den Sinn gekommen, betont der Journalist. Kleinlich sei es, wenn andere das wegen der Kirchensteuer täten. Und obwohl er sich jahrelang über "manche Macke" des Wojtyla-Papstes lustig gemacht habe - dessen Leiden und Sterben habe er tief betrauert. Christliche Werte sieht di Lorenzo als gesellschaftlichen Kitt. "Keine Botschaft der Menschheitsgeschichte ist wichtiger als "Liebe deinen Nächsten und füge anderen nicht zu, was du selbst nicht willst"", umreißt der "Zeit"-Chefredakteur den politischen Gehalt der Bibel. "Wenn Sie so wollen, ist das der rationale Überbau, und darunter ist meine persönliche Suche nach dem Glauben."