Triegel-Ausstellung in Berliner Kirche

per visibilia ad invisibilia

Für den einen ist er "ästhetischer Erzfeind", die anderen halten ihn schon fast für eine "Kontaktreliquie". Der Leipziger Künstler Michael Triegel weiß, dass er mit seinen Gemälden in altmeisterlichem Stil provoziert, ja polarisiert. Dennoch setzt er seinen durchaus eigenwilligen künstlerischen Weg unbeirrt fort.

Autor/in:
Christoph Scholz
 (DR)

Das lässt sich an einer Auswahl von fünfzehn Werken aus dem vergangenen Jahrzehnt nachverfolgen, die ab diesem Freitag bis zum 15. Januar in der Berliner Sankt Matthäus-Kirche zu sehen sind. Einer breiten Öffentlichkeit wurde der Schüler von Arno Rink vor allem durch seine umfangreiche Retrospektive im Museum der bildenden Künste in Leipzig im vergangenen Jahr sowie durch sein Portrait von Papst Benedikt XVI. bekannt. Unter dem Titel "per visibilia ad invisibilia" (vom Sichtbaren zum Unsichtbaren) präsentiert Triegel nun eine Auswahl, die gleich mehrere Hauptwerke aus dem inzwischen über 350 Tafelbilder umfassenden Oeuvre einbezieht.



In der Apsis der Kirche über dem Altar hängt die "Kreuzigung" von 2001. Ein auf den ersten Blick traditionelles Altarbild, wie der Leiter der Kulturstiftung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, Christhard-Georg Neubert, bei der Eröffnung am Donnerstagabend betont - aber eben nur auf den ersten Blick. Triegel zitiert in seiner Darstellung die Kreuzigung von "Diego Velasquez" aus dem Prado. Doch ist das Antlitz Christi verschleiert. Ein durchsichtiges Papier hängt vor dem dornengekrönten Haupt - gleich dem Schweißtuch der Veronika: eben jene "vera icona", jenes wahre Abbild des Herrn. Doch handelt es sich um ein Blatt Japanpapier, das Restauratoren zur Sicherung rissiger Malschicht nutzen - oder der Künstler zur Sicherung der christlichen Überlieferung. Hier eröffnet sich jenes Vexierspiel an Bedeutungen, das für Triegels Bilderwelt typisch ist.



Die mit höchster Präzision ausgeführte Szene wirkt handgreiflich nah. Doch löst sie sich in ihrer Gegenständlichkeit bei genauerem Hinsehen in ein komplexes System von Verweisen, Symbolen und Allegorien auf, von Zitaten aus der Kunstgeschichte und Anspielungen, die theologische wie existenzielle Fragen aufwerfen. "Wir begegnen uns selbst, in unseren Träumen vom Leben, in unseren Unsicherheiten und Abgründen", meint Neubert. Triegel lote den abendländischen Bilderkanon beständig neu aus, eine "fortdauernde Umdeutung des Gewohnten". Für den protestantischen Theologen zeigt das Werk des gebürtigen Erfurters damit jene prinzipielle Differenz, von der Paulus im ersten Korintherbrief spricht: zwischen dem Blick "durch einen Spiegel in einem dunkeln Wort" und der künftigen Schau "von Angesicht zu Angesicht". Damit eröffnet Triegels Kunst den Blick "vom Sichtbaren zum Unsichtbaren", bis hin zur "höchsten Anschauung".



"Eine fortdauernde Suchbewegung"

Für den Berliner Kunsthistoriker Wolf-Dietrich Löhr knüpfen Triegels Bilder in Auseinandersetzung "mit den Traditionen der Christlichen Kunst an unser Bildgedächtnis an". Das zeigt sich etwa beim großformatigen Abendmahl von 1994, im Stile der italienischen Renaissance-Malerei oder "Um Mitternacht" von 2005 mit einem thronenden Auferstandenen. Beide Darstellungen sind in ihrer Aussage aber zutiefst ambivalent. Beim Abendmahl sitzt Christus alleine und gesichtslos an der Tafel vor schwarz-samtigem Vorhang, im zweiten Bild sieht sich der souverän thronende Christus durch anfliegende Messer gefährdet.



Diese Malerei ist somit keine nostalgische Kopie und ebenso wenig reiner Ästhetizismus. Triegel bedient sich des Bilderkanons von griechischer Klassik über das Spätmittelalter bis zu Renaissance und Manierismus, doch stellt er die Versatzstücke in neue, verstörende Zusammenhänge. In ein Wechselspiel von Bewunderung und Infragestellung, das nach immer neuer Vergewisserung verlangt - "verzögerte Störsignale", so Löhr. Triegel selbst sprach einmal von der "Sehnsucht nach dem Wunderbaren", die zugleich so unendlich zerbrechlich wirkt, wie geduldig in Schichten aufgetragene Malerei. "Eine fortdauernde Suchbewegung", so Neubert.