Asylbewerberleistungsgesetz vor dem Aus

Entrechtete Flüchtlinge

Das Asylbewerberleistungsgesetz wurde 1993 als Sondergesetz für Flüchtlinge geschaffen - und ist seitdem Angriffspunkt von Sozialverbänden und Flüchtlingsinitiativen. Sie fordern beharrlich das Aus des Gesetzes, das aus ihrer Sicht Flüchtlinge stigmatisiert und entrechtet. Bald könnte es kippen.

Autor/in:
Dirk Baas
 (DR)

Asylbewerber müssten bei der Garantie des menschenwürdigen Existenzminimums endlich gleichgestellt werden, fordert nicht nur Pro Asyl und hofft eine positive Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes.



Ziel des Gesetzes der Regierung unter Kanzler Helmut Kohl (CDU) war es, einen Mindestunterhalt während des Asylverfahrens gesetzlich eigenständig zu regeln. Bestehende Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz wurden deutlich gekürzt und ein Vorrang von Sach- vor Geldleistungen festgelegt. "Man ging von einem in aller Regel nur vorübergehenden Aufenthalt dieser Menschen in Deutschland aus, weshalb die abgesenkten Leistungen als zumutbar angesehen wurden", erläutert der Deutsche Caritasverband.



Unter das Gesetz fallen Asylbewerber während der gesamten Dauer ihres Verfahrens, Ausreisepflichtige (wie etwa Inhaber von Duldungen) und andere Ausländer, die sich nur vorübergehend in Deutschland aufhalten dürfen.



Caritas: 35 Prozent unter Niveau des Existenzminimums

Das Gesetz sichert Flüchtlingen den Grundbedarf des täglichen Lebens, der meist als Sachleistung gewährt wird. Die Hilfen reichen von der Ernährung über Unterkunft und Kleidung bis hin zur eingeschränkten medizinischen Versorgung.



Die Kritik von Verbänden und Flüchtlingsinitiativen an den Sonderreglungen reißt seit Jahren nicht ab. Hauptgrund dafür ist, dass den Betroffenen nach wie vor weit geringere Leistungen zustehen als etwa Empfängern von Hartz IV. Erschwerend kommt hinzu, dass die Grundleistungen seit Einführung des Gesetzes vor 18 Jahren nicht angepasst wurden. Laut Caritas liegen die Hilfen inzwischen rund 35 Prozent unter dem Niveau des Existenzminimums, wie es im Sozialgesetzbuch II festgeschrieben ist. Am deutlichsten sei die Diskrepanz bei sechsjährigen Kindern, die nach dem Asylbewerberleistungsgesetz eine um 47 Prozent niedrigere Leistung erhalten.



Neu an Fahrt gewonnen hat die Debatte über die Zukunft des Asylbewerberleistungsgesetzes durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom Februar 2010 zu den Regelleistungen bei Hartz IV. Karlsruhe legte in seinem Urteil ein Grundrecht auf menschenwürdige Behandlung fest. Diesen Anspruch haben nicht nur Deutsche, sondern alle Menschen hierzulande, also auch Flüchtlinge. Unterschiedliche Leistungen für die Existenzsicherung sind vor diesem Hintergrund schwer zu begründen.



Kaum Chancen, selbstbestimmte Existenz aufzubauen

Das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) kommt deshalb zu dem Schluss, dass das Asylbewerberleistungsgesetz verfassungswidrig und folglich abzuschaffen ist. Diakonie-Chef Johannes Stockmeier hält eine Neuberechnung der Regelsätze allein jedoch für unzureichend. Er fordert ein grundlegendes Umdenken in der Asyl-Politik. Flüchtlinge müssten auch medizinisch besser versorgt werden und Zugang zu allen sozialen und kulturellen Leistungen erhalten, die Hartz-IV-Beziehern zustehen.



Diese Forderungen erhebt auch die Caritas. Sie kritisiert zudem das für Flüchtlinge geltende Arbeitsverbot mindestens im ersten Jahr ihres des Aufenthaltes und den stark eingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt für weitere drei Jahre. "Die Betroffenen haben kaum Chancen, sich durch eigene Arbeit eine selbstbestimmte Existenz aufzubauen", stellte Generalsekretär Georg Cremer im Januar bei einer Anhörung im Bundestag fest.



Noch wartet die Bundesregierung ab, doch sie wird handeln müssen. Im kommenden Jahr will das Bundesverfassungsgericht über zwei Verfahren zur Rechtmäßigkeit des umstrittenen Gesetzes entscheiden, die das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen zur Prüfung vorgelegt hat. Dann herrscht endlich Klarheit, ob die Regelsätze im Asylbewerberleistungsgesetz mit dem Grundgesetz vereinbar sind.