Niebel zur Neuausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit

"Es profitieren immer beide Seiten"

Das Entwicklungshilfeministerium feiert am Montag seinen 50. Gründungstag. Im Interview spricht Entwicklungsminister Dirk Niebel über den Wandel, die Chancen und die Herausforderungen deutscher Entwicklungszusammenarbeit.

 (DR)

KNA: Herr Minister Niebel, Sie sind zwei Jahre Entwicklungsminister und haben 60 Auslandsreisen hinter sich. Hat das Ihren Blick auf das Amt verändert?

Niebel: Ja, die Reisen verändern den Blick. Man ist oft verwundert, welche Probleme hierzulande die öffentliche Wahrnehmung bestimmen.

Wir haben sicherlich viele drängende Fragen, aber auch viele Luxusprobleme. Ich sehe aber gleichzeitig, welche Chancen in guter Entwicklungszusammenarbeit liegen, auch für Deutschland selbst.



KNA: Verändern diese Erfahrungen auch die eigene Person?

Niebel: Manches ist menschlich schwer zu ertragen. Es gibt Eindrücke, die wird man nicht mehr los, etwa aus Flüchtlingscamps.

Es gibt aber auch sehr viele schöne Erfahrungen. Etwa die Gestaltung eines grenzüberschreitenden Naturparks in Afrika, der fünf Länder zusammenführt.



KNA: Ihr Ministerium feiert in diesen Tagen 50. Geburtstag. Wo sehen Sie die entscheidenden Etappen?

Niebel: Es hat sich enorm viel gewandelt. Am Anfang dachte man, Entwicklungshilfe besteht darin, dass ein Deutscher nach Afrika geht und dort Kinder unterrichtet. Dann gab es den Kalten Krieg mit seiner machtpolitischen Orientierung - gleich wie schlimm ein Regime im Partnerland war. Wesentlich war aus meiner Sicht der Wechsel von Entwicklungshilfe zur Entwicklungszusammenarbeit.



KNA: Warum?

Niebel: In einer globalisierten Welt profitieren immer beide von einer Kooperation, selbst wenn es eine Hilfssituation ist.



KNA: Wo haben Sie eigene Schwerpunkte gesetzt?

Niebel: Wir haben die ländliche Entwicklung zu einem Schwerpunkt gemacht, die Bildungsausgaben im Subsahara-Afrika verdoppelt und die Wirtschaft und Zivilgesellschaft stärker einbezogen. Dazu sind wir in den Partnerländern effizienter geworden. Zugleich wird die Entwicklungszusammenarbeit auch in Deutschland stärker wahrgenommen.

Es gibt aber immer noch zu viele Leute, die denken, ein Entwicklungsminister läuft mit einem Füllhorn durch die Welt, während hierzulande die Straßen und Schulen saniert werden müssten. Dabei ist die Entwicklungszusammenarbeit stets zugleich eine gute Investition in die Zukunft Deutschlands.



KNA: Kritiker werfen Ihnen eine einseitige Ausrichtung an Wirtschaftsinteressen vor.

Niebel: Da lassen wir mal die Kirche im Dorf: Zunächst bekämpft man Armut am besten durch Wirtschaftswachstum. Eine funktionierende Wirtschaft schafft Arbeitsplätze und ermöglicht Steuereinnahmen zum Aufbau einer Infrastruktur etwa in der Bildung. Das gilt auch für arme Länder.



KNA: Trotzdem - haben die Kritiker an diesem Punkt nicht recht?

Niebel: Nein. Für die verschiedenen Formen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit habe ich gerade Mal 60 Millionen Euro zur Verfügung - bei einem sechs Milliarden-Etat. Dafür wird vom politischen Gegner mächtig viel Wind gemacht.



KNA: Welche Gefahr sehen Sie für die Entwicklungsländer durch die Finanzmarkt- und Schuldenkrise?

Niebel: Es besteht das Risiko, dass Zusagen nicht eingehalten werden können, wenn die Konsolidierung der Haushalte noch stärker in den Vordergrund rückt.



KNA: Gilt das auch für die Bundesregierung?

Niebel: Bundeskanzlerin Angel Merkel hat sich nochmals ausdrücklich dazu bekannt, bis 2015 0,7 Prozent des Bruttoinlandprodukts für Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung zu stellen. Das belegt die Haushaltsentwicklung meines Ministeriums: Wir verzeichnen seit drei Jahren einen Zuwachs und haben zum dritten Mal in Folge den bislang höchsten Etat.



KNA: Noch klafft aber eine große Lücke zum 0,7-Prozent-Ziel.

Niebel: Grundsätzlich gilt: Die Summe des ausgegebenen Geldes sagt noch nichts über den Wert der Hilfe. Wesentlich ist deren Wirksamkeit. Deshalb haben wir auch im Januar die Durchführungsorganisationen zur Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit GIZ zusammengeführt. Ferner wollen wir zusätzliche Mittel nutzbar machen, etwa durch die Ausweitung des Garantierahmens für Entwicklungskredite. So stehen uns mehr Mittel für die ganz armen Länder zu Verfügung.



KNA: Wie beurteilen Sie die Finanzmarkttransaktionssteuer?

Niebel: Eine solche Steuer würde wohl zunächst zur Finanzierung der Krise herangezogen. Aber selbstverständlich würde ich mich auch im Interesse der Entwicklungszusammenarbeit um einen Teil der Erträge bemühen. Mein Wunsch wäre davon ungeachtet, dass Rückflüsse aus Krediten im Rahmen eines Schwellenländerfonds wieder der Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung stehen. Die Kredite werden aus meinem Ressort mitfinanziert. Die Rückflüsse gehen hingegen in den allgemeinen Haushalt ein.



KNA: Derzeit engagierten sich in Deutschland rund eine Million Menschen für die Entwicklungspolitik. Sie wollen diese Zahl verdoppeln - mit welchen Mitteln?

Niebel: Ich möchte hierzu eine Servicestelle für das zivilgesellschaftliche Engagement einrichten. Ferner ist eine Werbekampagne geplant. Wichtig sind auch Multiplikatoren wie die Kirchen.



KNA: Welchen Stellenwert haben die Kirchen allgemein für die Entwicklungspolitik?

Niebel: Einen ganz wichtigen. Deshalb haben wir ihren Anteil an der Förderung durch das Entwicklungsministerium deutlich erhöht. Sie sind zudem privilegiert, weil sie über ihr Budget autark entscheiden. Das ist auch ein Zeichen für das hohe Vertrauen auf beiden Seiten.



KNA: Wo sehen Sie die Hauptaufgabe Ihres Ministeriums: In der Nothilfe oder der langfristigen Projektarbeit?

Niebel: Selbstverständlich helfen wir den Hungernden am Horn von Afrika oder den Flutopfern in Pakistan. Das ist zentral und humanitär notwendig. Wir wollen aber zu strukturell dauerhaften Veränderungen kommen, damit unsere Partner ihre Geschicke selbst in die Hand nehmen können. Das große Ziel guter Entwicklungszusammenarbeit ist deshalb vor allem eines: sich selbst überflüssig zu machen.



Das Interview führte Christoph Scholz.