Streit um Gesundheitsreform in den USA hält an

Neue Etappe im Kulturkampf

Rechtzeitig zum Präsidentschaftswahlkampf brodelt in den USA ein neuer Kulturkampf um Moral und gesellschaftliche Werte. Bei katholischen Bischöfen und evangelikalen Kirchen stößt Präsident Obama mit seinen Vorschlägen zur Finanzierung von Verhütungsmitteln weiterhin auf massive Kritik.

Autor/in:
Konrad Ege
 (DR)

Gestritten wird nicht nur über Abtreibung und gleichgeschlechtliche Eheschließungen: Im Brennpunkt stehen die vermeintlich längst "abgehakten" Themen Geburtenkontrolle und Familienplanung. Konservative Politiker wollen Anhänger mobilisieren mit Warnungen, Präsident Barack Obama gefährde die Glaubensfreiheit, indem er Kirchen zur Unterstützung der Familienplanung "zwinge".



Die römisch-katholischen Bischöfe, die künstliche Empfängnisverhütung wie Kondom und Pille ablehnen, und konservative Evangelikale laufen Sturm gegen eine Neuregelung der Krankenversicherung zur Finanzierung von Verhütungsmitteln. Erklärte doch Erzbischof Timothy Dolan, der am Samstag in Rom zum Kardinal erhoben wird: Der Staat wolle Katholiken zwingen, ihrem "Gewissen Gewalt anzutun". In einem Hirtenbrief heißt es: "Wir können und werden dieses ungerechte Gesetz nicht befolgen."



Noch nie in modernen Zeiten sei die Glaubensfreiheit so gefährdet gewesen, beschwor der Publizist Chuck Colson in "Christianity Today", einem führenden evangelikalen Magazin. Er fühlt sich erinnert an den deutschen Kirchenmann Martin Niemöller (1892-1984), der zum Widerstand gegen die Nationalsozialisten aufgerufen habe, auch wenn man nicht direkt verfolgt sei.



Worum es geht

Mit der 2010 beschlossenen und nun wirksam werdenden Gesundheitsreform müssen Krankenversicherungen für Empfängnisverhütung zahlen. In den USA sind die meisten Menschen mit Krankenversicherungsschutz über ihre Arbeitgeber versichert. Manche der Kassen zahlten für Verhütungsmittel, andere nicht und wiederum andere nur teilweise. Das soll sich nun ändern.



Die Kritiker der Neuregelung sind empört, weil nun auch kirchliche Krankenhäuser, Schulen, Universitäten oder karitative Einrichtungen, deren Dienste und Stellen allen Menschen offenstehen, ihre Angestellten so versichern müssen, dass die Kosten für Verhütungsmittel erstattet werden. Ausgenommen von dieser Pflicht sind lediglich die Kirchen selbst.



Präsident Obama reagierte auf die Kritik. Er schlug vor wenigen Tagen einen Kompromiss vor, wonach die Versicherungsgesellschaften, nicht aber der kirchlichen Arbeitgeber dafür sorgen müssen, dass die Kosten für die Verhütungsmittel ersetzt werden.



Die Gesellschaft wird liberaler

Doch den katholischen Bischöfen reicht dieses Entgegenkommen nicht. Der Sprecher der Bischofskonferenz, Richard Doerflinger, forderte in der "Washington Post", alle Arbeitgeber sollten aus Gewissensgründen Empfängnisverhütung von ihren Versicherungsplänen auszuschließen dürfen.



Besonders entrüstet geben sich die republikanischen Politiker, die selber ins Weiße Haus streben. Obama führe "Krieg gegen die katholische Kirche", schimpfte Präsidentschaftsanwärter Newt Gingrich. Und Mitt Romney klagte, die Neuregelung sei ein schwerwiegender Angriff auf die Religionsfreiheit. Rick Santorum, Katholik und Vater von sieben Kindern, tat kund, Verhütung sei "nicht gut für unser Land", da sie "verantwortungsloses Verhalten" fördere.



Derartige Sprüche kommen an bei konservativen Vorwählern. Santorum, der Abtreibung grundsätzlich ablehnt, liegt laut CNN seit neuestem gleichauf mit Romney an der Spitze der republikanischen Bewerber. Aber mehrheitsfähig ist diese Rhetorik eher nicht. Die Kontroverse um die Empfängnisverhütung schade der Demokratischen Partei nicht unbedingt, sagte der Meinungsforscher Geoff Garin im Infodienst "The Hill". Die Gegner kämen aus konservativen Kreisen und seien ohnehin gegen Obama. Der Präsident könne aber bei Frauen punkten, denen Familienplanung wichtig sei. Jeder zweite US-Amerikaner und 58 Prozent der Katholiken befürworteten die neuen Richtlinien, berichtete das Umfrageinstitut "Public Policy Research Institute".



Der Familienplanungsverband Guttmacher Institut hat vergangenes Jahr eine Studie vorgelegt, wonach "geradezu alle" der 62 Millionen Frauen im gebärfähigen Alter in den USA irgendwann im Leben Empfängnisverhütungsmittel benutzen. In den Vereinigten Staaten wird die Gesellschaft eben liberaler. Vorehelicher Sex ist längst selbstverständlich. Schwangerschaftsabbruch ist nach wie vor umstritten, aber nur wenige US-Amerikaner würden Abtreibung grundsätzlich verbieten wollen. Der Wind bläst den Kulturkämpfern ins Gesicht.