Die Renaturierung des Mont Saint-Michel

Immer mehr Insel

Beim Stichwort Normandie denkt man an charmante Hafenansichten, Austern und Cidre. Vor allem aber an den Mont Saint-Michel. Die Klosterinsel ist Touristenmagnet, Wahrzeichen - und Problemkind der Region: Der Insel-Charakter ist gefährdet, seit Jahren andauernde Bauarbeiten gehen nun in eine neue Phase.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
 (DR)

Der 1879 angelegte Straßendamm, der den Klosterberg mit dem Festland verbindet, trägt maßgeblich zur Verlandung der Bucht bei. Durch den Deich und den riesigen Parkplatz am Ende wird die Zirkulation des Wassers in der Bucht gebremst. Der mitgetragene Sand kann von der starken Tide kaum mehr ins Meer zurückgezogen werden; jedes Jahr verlanden so 200 Hektar der Bucht.



Früher lagen mehrere Kilometer zwischen Festland und dem Mont Saint-Michel; heute sind es nur noch wenige hundert Meter. Tatsächlich reichen die Salzwiesen bei Ebbe fast bis an die äußeren Grenzen des Felsens heran, der auch bei Flut nur noch selten komplett von Wasser umgeben ist. Während die Urlaubsinsel Sylt sich um ihren Untergang sorgt, geht am Klosterberg in der Normandie das Gespenst eines Anschlusses ans Festland um - ein kaum weniger dramatisches Problem.



Mehr als drei Millionen Besucher jedes Jahr

Ein Mont Saint-Michel ohne Wasser wäre für Touristen weit weniger attraktiv. Und immerhin kommen jedes Jahr mehr als drei Millionen Besucher. Bereits 1995 wurde ein ambitioniertes Renaturierungsprojekt ins Leben gerufen, um den Inselcharakter des Mont Saint-Michel auch künftig zu bewahren. Nun geht es einen Schritt weiter - und für Touristen sogar gleich viele Schritte: Seit diesem Freitag nämlich werden die Parkplätze zweieinhalb Kilometer ins Hinterland verlagert. Die störende "Blechlawine" verschwindet von der Kulisse.



Künftig ist ein knapper Kilometer Fußweg zwischen dem Parkplatz -Gebühren: 55 Euro für Busse und 8,50 Euro für PKW - und dem neu geschaffenen Pendelverkehr zurückzulegen. Egal welchen der drei Wege man dann wählt - Pendelbus (im Preis inbegriffen), Pferdekutsche (6,50 Euro) oder Fußweg: Mindestens eineinviertel Stunden sollte man für Hin- und Rückweg einplanen.



So kann vielleicht auch wieder ein wenig mehr von jenem Eindruck entstehen, den die mittelalterlichen Pilger hatten, wenn sie sich dem "Heiligen Berg" nach langer Wallfahrt näherten; wenn am Wegesrand eine regionale Spezialität weidet: das sogenannte Presale, das "Vorgesalzene" - besonders würzige Lämmer, die die vom Grundwasser des Meeres getränkten Halme der Salzwiesen ("Pres Sales") fressen und so auch selbst einen besonderen, weil maritimen Geschmack entfalten.



Das Ziel: 2015

Wird der Zeitplan eingehalten, dann soll das Projekt zur Renaturierung der Bucht 2015 abgeschlossen sein. Die Kosten wurden zu Beginn auf rund 164 Millionen Euro geschätzt, zu tragen vom französischen Staat, der EU und den Regionen Normandie und Bretagne. Dabei dürfte es freilich nicht bleiben. Einen Teil bringen auch die privaten Investoren auf, die hoffen, durch Gewinne aus dem Betrieb von Parkplatz und Pendelbusverkehr entlohnt zu werden.



Der erste Schritt war seit Ende 2005 die Errichtung einer Stauanlage am Flüsschen Couesnon, der beim Mont Saint-Michel in den Ärmelkanal fließt; diese Etappe wurde 2009 abgeschlossen. Die neue Stauanlage dient auch als Info- und Aussichtsplattform auf die Bucht und den Klosterberg. Schon seit ihrer Eröffnung ist sie ein beliebter Stopp für Fotografen.



Die Stauanlage, die 2010 den französischen Ingenieurpreis erhielt, ist ein Kernelement des Projekts. Mit Hochdruck wird der Sand allein durch die Wasserkraft des Flusses aus der Bucht geschwemmt. 2013 soll es an die Bauarbeiten der neuen Brücke gehen, ehe dann im Jahr darauf der massive Straßendamm abgetragen wird. Das geschieht allerdings erst nach Fertigstellung der Brücke, damit der Klosterberg während der gesamten Zeit der Bauarbeiten zugänglich bleibt.



Experten gehen davon aus, dass binnen zehn Jahren 80 Prozent der Sedimente auf diese Weise verschwinden. Langfristig würde sich der Wasserstand in der Bucht so um rund 70 Zentimeter erhöhen: Der Mont Saint-Michel, so die Hoffnung, wäre wieder eine richtige Insel.