"Es gilt als modern, alte Zöpfe abzuschneiden und vermeintlich spießige Vorstellungen vergangener Zeiten entschlossen anzupassen. Mehr oder weniger bewusst ist dies auch die verbreitete Haltung in der Diskussion um die Gleichstellung homosexueller Partnerschaften mit der Ehe. Doch hier ist mehr Nachdenklichkeit sehr angebracht.
Es ist das ureigenste Interesse des Staates, dass es die Ehe zwischen Frau und Mann gibt, denn aus der Ehe erwächst die Familie, und sie ist seine Keimzelle und Bestandsgarant. Jeder Mensch und Bürger hat genau eine Mutter und einen Vater. Deshalb stellt unsere Verfassung die Ehe zwischen Mann und Frau unter besonderen Schutz, denn die Ehe ist damit weit mehr als die gegenseitige Übernahme von Verantwortung füreinander. Das sollte eigentlich eine Binsenweisheit sein.
Daraus ergibt sich aber: wenn der Staat nicht mehr die Ehe besonders als Lebensgemeinschaft von Mann und Frau fördert und schützt, sondern gleichgeschlechtliche Partnerschaften ebenso, dann fördert er eigentlich nur eine Form des sexuellen Zusammenlebens. Dies aber ist etwas völlig anderes als der Schutz der ehelichen Lebensform als generative Keimzelle, und der Staat sollte es sich sogar untersagt sein lassen, hier regelnd einzugreifen: Denn die Kriterien, nach denen seine Bürger ihr privates Zusammenleben gestalten, gehören rechtlich einzig und allein in deren persönlichen Entscheidungsbereich.
Letztlich ist die sexuelle Orientierung ja auch nur einer von vielen möglichen Beweg-gründen, eine Lebensgemeinschaft zu bilden - wirtschaftliche oder politische Überlegungen sind ebenso denkbar wie rein pragmatische. Unter Umweltaspekten etwa könnte der Staat dann auch Fahrgemeinschaften rechtlich der Ehe gleichstellen. Was alle diese Kriterien möglichen Zusammenlebens von der Ehe fundamental unterscheidet, ist der generative Aspekt: er ist untrennbar und einzig mit der Ehe verbunden, weil er ihr innewohnt, selbst wenn er nicht in jedem Fall realisiert wird. Die sexuelle Orientierung ist ja nur deshalb konstitutiv für die Ehe, weil sie Voraussetzung für die Weiter-gabe des Lebens ist.
Nun kann man einwenden: die Fortpflanzung lässt sich auch anders organisieren als in der Ehe; die Techniken sind vorhanden. Abgesehen von der Frage, welchen Eigen- und Stellenwert ein Kind dann noch hat: auch das ändert nichts daran, dass jeder Mensch genau eine Mutter und einen Vater hat - und er hat überdies ein Menschenrecht darauf zu wissen, wer seine biologischen Eltern sind. Vater und Mutter sind keine bloßen Funktionen, sondern fundamentale Existenzweisen des Menschen.
Doch die existenziell bedeutsamen Begriffe "Mutter", "Vater", "Familie" werden immer häufiger rein funktional definiert, gleichsam soziotechnisch mit dem Begriff "Verantwortung" oberflächlich besehen neu gefüllt, doch bei näherem Hinsehen werden sie gleichzeitig ihres wesensmäßigen Inhalts beraubt. Indem man glaubt, Familie bloß funktional neu definieren zu können, verdrängt man die leibliche Komponente der Wesensbegriffe Mutter und Vater. An die Stelle der Leiblichkeit tritt eine merkwürdige Form der "Leihlichkeit". So wesentlich und auch anerkennenswert Verantwortung für-einander ist: sie kann die Substanz der Seinsweisen "Mutter" und "Vater" nie ersetzen. Genau besehen könnte man sagen: Mitten im selbstverliebten Exhibitionismus unserer Gesellschaft offenbart sich darin überraschend eine subtile Form neuer Leibfeindlichkeit. Die natürlichen Gegebenheiten gelten nichts mehr. Alles ist möglich! Koste es, was es wolle! Und sei es die eigene Identität! Oder genauer: die der Kinder. Denn die leibliche Eltern-Kind-Beziehung wie auch umgekehrt die Kind-Eltern-Beziehung ist konstitutiv für die Identität jedes Menschen. Wer ist meine Mutter, wer mein leiblicher Vater? Wie wir heute auch wissenschaftlich belegen können, sind diese Fragen, wie die meisten Kinderfragen, alles andere als trivial.
Gleich ob also in jeder Ehe die Fortpflanzung realisiert und die eheliche Partnerschaft damit zur Familie wird: Die Ehe bewahrt in naturgegebener Weise das Wissen um und die Achtung vor Ursprung und Weitergabe des Lebens aus Mann und Frau. Als Lebensform und Modell ist sie deshalb einzigartig, außer Konkurrenz und der Orientierungspunkt, der aus allen anderen möglichen Formen bloßer Verpartnerung herausragt.
Und noch etwas wird deutlich: wenn eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft nur eine Form des sexuellen Zusammenlebens ist, die Ehe aber unaufgebbare Keimzelle des Staates, dann behandelt der Gesetzgeber hier Ungleiches gleich. Das widerspricht ehernen Rechtsgrundsätzen und kann daher nicht gut gehen. Ich bin deshalb froh, dass es unter den Politikern namentlich in der CDU auch solche gibt, die dies erkannt haben und nachdrücklich darauf aufmerksam machen."
Joachim Kardinal Meisner, Erzbischof von Köln, in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" von Freitag (31.08.2012).
Kardinal Meisner zur Diskussion um die Gleichstellung der "Homo-Ehe"
"Nachdenklichkeit ist angebracht"
Seit Wochen hält die Diskussion um eine steuerliche Gleichstellung homosexueller Paare an. Für Joachim Kardinal Meisner ist die Ehe von zwischen Mann und Frau "die Keimzelle des Staates". domradio.de dokumentiert seinen Debattenbeitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" von Freitag in voller Länge.
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