Katholisches Sozialinstitut warnt vor Scheitern der NRW-Regierung

"Nur die zweitbeste Lösung"

SPD und Grüne stellen die Weichen für eine rot-grüne Minderheitsregierung in NRW - für Prof. Peter Schallenberg, Direktor der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle in Mönchengladbach, ist das "nur die zweitbeste Lösung". Er gesteht der Koaliton zwar Reformwillen zu, befürchtet gegenüber domradio.de dennoch ein Scheitern.

 (DR)

domradio.de: Jetzt doch eine Minderheitenregierung in NRW. Haben sie dabei ein gutes Gefühl?
Prof. Schallenberg: Grundsätzlich ist das immer nur die zweitbeste Lösung in der Demokratie. Besser wäre es, eine stabile Mehrheit zu haben, weil es in  NRW um eine ganze Menge von wichtigen Aufgaben geht. Und bei einer Minderheitsregierung ist es doch absehbar, dass es vor Ablauf der Legislaturperiode zu einem Ende der Regierung und zu früheren Neuwahlen kommt, und das ist grundsätzlich nicht wünschenswert.

domradio.de: Es gebe jetzt ein "neues rot-grünes Klima" in Nordrhein-Westfalen, hatte NRW-SPD-Chefin Hannelore Kraft kurz nach der Wahl erklärt: Wie interpretieren sie das und was erhoffen sie sich von diesem "neuen" Klima?
Prof. Schallenberg: Ich könnte mir vorstellen, dass es jetzt nicht einfach zu einem Regieren um jeden Preis kommt, sondern dass Reformprojekte angefasst werden. Es gibt eine Menge Themen, wo ich Reformbedarf sehe: z.B. im Bereich der schulischen Bildung. Aber auch das Auslaufen der Kohlesubventionen und das Integrieren von Menschen, die nicht in unserem kulturellen Umfeld aufgewachsen sind oder einen anderen Sprachhintergrund haben, sind wichtige Themen. Wenn das mit Rot-Grün gelingt, auf den Weg zu bringen, dann ist da zunächst nichts dagegen zu sagen.

domradio.de: Die SPD will den Abbau sozialer Leistungen aus Geldmangel auf jeden Fall verhindern. Und die neue Koalition will viel für diejenigen tun, um die es in der Gesellschaft nicht so gut bestellt ist: z.B. durch "flächendeckende Mindestlöhne" und das Abschaffen der Studiengebühren. Was halten sie von diesen Ansätzen?
Prof. Schallenberg: Mindestlöhne kann man kontrovers diskutieren, wir haben ja durch unsere starke Stellung der Sozialhilfe und der Hartz-IV-Regelsätze de facto so etwas wie Mindestlöhne. Die Abschaffung der Studiengebühren halte ich eher für kontraproduktiv, insbesondere auch im Blick auf die europäischen Mitbewerber, das europäische Ausland. Da halte ich es eher für sinnvoll, dass man Kredite kostengünstig aufnehmen kann, die man später dann, wenn man im Beruf ist, zurückgibt. Grundsätzlich halte ich die Stärkung des sogenannten Prekariates, also der einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen, für sehr sinnvoll. Das ist sicherlich auch ein Kernanliegen er katholischen Soziallehre. Dass wir die Schwächeren stärken und die Starken heranziehen zu Gunsten der Schwächeren - da sind wir uns mit allen Parteien einig. Die Frage ist nur, auf welche Weise. Am ehesten doch durch Bildung und da sollte der Hinweis der Bildungsforscher ernst genommen werden, dass man mit der Förderung sehr früh anfängt. Wenn das ein Reformvorhaben der neuen Regierung wäre, zum Beispiel die Schaffung einer flächendeckenden Versorgung mit Kitas und Krippenplätzen, das schiene mir allen Schweiß der Anstrengung wert.

domradio.de: Noch-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers hat sich von der politischen Bühne zurückgezogen. Er war jemand, der den Kirchen gewogen war. Wie schätzen Sie das Verhältnis der Kirchen zu Rot-Grün ein?
Prof. Schallenberg: Ohne Zweifel ist Jürgen Rüttgers als praktizierender Katholik den Kirchen sehr gewogen gewesen. Das war gut und das haben wir als angenehm empfunden. Aber grundsätzlich ist die Kirche an keine Partei gebunden und bindet sich auch nicht an eine Partei. Über Sachfragen kann man ins Gespräch kommen und es finden sich ja auch auf NRW-Ebene sowohl bei der SPD als auch bei den Grünen praktizierende Katholiken und Christen. Es geht am Ende in der Politik nicht im Wesentlichen um die persönliche Begutachtung von Glaubenspräferenzen, das wäre eher was für den Beichtstuhl oder das Seelsorgegespräch. Sondern es geht um Sachfragen. Und wenn da der Schwächere im Mittelpunkt steht, dann ist schon einmal eine gute Schnittmenge erreicht.

domradio.de: Was geben sie der Minderheitsregierung in NRW mit auf den Weg?
Prof. Schallenberg: Wie gesagt, der Bildungssektor sollte verstärkt beachtet werden. Und es sollten schon am Anfang strittige Punkte geklärt werden, nicht wie bei der Koalition in Berlin viele Dinge auf die lange Bank schieben geschoben werden. Man sollte sofort klären, welche Punkte zügig erledigt werden sollen und welche mittelfristig. Und auch welche Dinge, bei denen keine Einigung in Aussicht ist, in den Hintergrund gestellt werden müssen. Ich würde auch möglichst unpolemisch, unideologisch und unaggressiv vorgehen und in Sachfragen alle Landtag vertretenen Gruppen einladen, um zu gemeinsamen Lösungen zu kommen.

Das Interview führte Monika Weiß.

Hintergrund
Die Katholische Sozialwissenschaftliche Zentralstelle ist eine Einrichtung der Deutschen Bischofskonferenz und des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK). Unmittelbarer Träger ist der KSZ e.V.

Die KSZ besteht seit dem 12. Februar 1963. Mit der Errichtung der Zentralstelle in Mönchengladbach wurde daran angeknüpft, dass hier seit dem Ende des 19. Jahrhunderts ein Zentrum des sozialen Katholizismus lag. Dies gilt zumal vom Volksverein für das katholische Deutschland, der von 1890 bis 1933 in Mönchengladbach seinen Sitz hatte.

Im Mittelpunkt der Tätigkeit der KSZ steht die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit sozialen und gesellschaftspolitischen Fragen auf der Grundlage der Katholischen Soziallehre und der Christlichen Sozialethik. Neben der Veranstaltung von Tagungen - auch im internationalen Rahmen und in Zusammenarbeit mit den katholischen Sozialverbänden - publiziert die KSZ eine Vielzahl von Schriften, u. a. die Reihe "Kirche und Gesellschaft". Dabei hält sie engen Kontakt zu den Sozialethikern/Innen im deutschsprachigen Raum. Außerdem bemüht sich die KSZ um eine Vernetzung der sozialethischen Aktivitäten auf europäischer Ebene, insbesondere im engen Kontakt zur Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft (COMECE) in Brüssel, und im ökumenischen Dialog.

Nach Prof. P. Dr. Gustav Gundlach SJ und Prof. P. Dr. Anton Rauscher SJ ist seit dem 1. April 2010 Msgr. Prof. Dr. Peter Schallenberg Direktor der Zentralstelle.