Parlamentswahlen in Argentinien

Aufschwung auf tönernen Füßen

In Buenos Aires werben mehr Straßenplakate für ein Konzert des Mädchenschwarms Justin Bieber als für die Kandidaten der Präsidenten- und Parlamentswahlen. Der Wirtschaftsboom gibt Cristina Kirchner Rückenwind: Die Staatschefin will am Sonntag wiedergewählt werden.

Autor/in:
Jürgen Vogt
 (DR)

Alles andere als ein Sieg Kirchners im ersten Wahlgang wäre eine Überraschung. Mitte August hatte die 58-Jährige, der ein Hang zum Glamour nachgesagt wird, die Vorwahlen mit über 50 Prozent gewonnen. Am Sonntag reichen bereits 45 Prozent der Stimmen oder 40 Prozent und ein Vorsprung von 10 Prozent, um die Wahl zu gewinnen. In Argentinien herrscht Wahlpflicht für die 28 Millionen Stimmberechtigten.



Die wichtigsten Herausforderer sind weit abgeschlagen: Da ist zum einen der Sohn des früheren Präsidenten Raúl Alfonsín, Ricardo Alfonsín (59), der für die sozialdemokratische Radikale Bürgerunion antritt. Als chancenlos gilt auch der frühere Präsident Eduardo Duhalde (69), der wie Kirchner der Peronistischen Partei angehört, aber für deren rechten Flügel kandidiert. Auch der Sozialist Hermes Binner (68) hat wenig Aussichten.



Der Tod des Ehemanns änderte alles

Dabei war das politische Panorama vor einem Jahr noch völlig anders. Noch Anfang September 2010 dümpelten die Sympathiewerte für die Präsidentin in Umfragen unter 35 Prozent. Der plötzliche Tod ihres Amtsvorgängers und Ehemanns Néstor Kirchner, der Ende Oktober 2010 einem Herzinfarkt erlag, änderte das schlagartig.



Der verstorbene Politiker hinterließ zunächst ein Machtvakuum und viele Fragezeichen, denn er hatte die Fäden im Hintergrund gezogen. Der Präsidentin wiederum bescherten die Trauerfeiern und ihr Auftreten als Witwe in Schwarz einen Zuwachs in der Wählergunst auf 55 Prozent.



Aber es ist auch der Wirtschaftsboom, der ihr Aufwind verschaffte. Er wurde getragen von Soja-Exporten, der Autoindustrie und der Software-Branche. Wachstumsraten von jährlich um die acht Prozent sorgen für steigende Beschäftigtenzahlen, und der private Konsum ist ungebrochen.



Armut nimmt wieder zu

Doch es steigen auch die Preise, die Inflationsrate liegt bei 25 Prozent - und die Armut nimmt wieder zu. "Unter der Inflation leiden die unteren Einkommensschichten", sagt Roberto Lavagna. Als Wirtschaftsminister hatte er von 2002 bis 2005 zusammen mit dem damaligen Präsidenten Néstor Kirchner das Land aus der schweren Wirtschaftskrise geführt.



Die Armut betreffe bereits wieder 25 bis 30 Prozent der rund 40 Millionen Argentinier, sagt Lavagna. Und das Wirtschaftswachstum sei nicht nachhaltig. Argentinien müsste eine Investitionsquote von über 20 Prozent ausweisen, liegt aber seit Jahren darunter. "Was wir erleben, ist vor allem ein Konsumfest, an dem sich der Staat mit seinen stetig steigenden Ausgaben aktiv beteiligt", warnt der Ökonom. Nach Cristina Kirchners zweiter Amtszeit in vier Jahren würden die staatlichen Kassen endgültig leer sein.



Und eine dritte Regierungsperiode?

Doch im Wahlkampf spielen solche Analysen keine Rolle. Auch wenn das Rennen um die Präsidentschaft schon gelaufen schien, versuchte die Opposition doch noch Terrain zu gewinnen. Spannend bleibt die künftige Zusammensetzung des Kongresses. Bei den Teilwahlen 2009 hatte die Regierungspartei in beiden Kammern die Mehrheit verloren.



Statt der Präsidentin eine riskante Wirtschaftspolitik vorzuhalten, verlegte sich die Opposition auf den Hang zur Macht: Bis zum Tod von Néstor Kirchner war darüber spekuliert worden, ob das Präsidentenpaar sich im Amt abwechseln will. Die Verfassung erlaubt nur zwei Amtszeiten in Folge. Bisher schweigt Cristina Kirchner zu der Frage, ob sie eine dritte Regierungsperiode anstrebt. Dazu bräuchte sie eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Kongress, um die Verfassung zu ändern.