Vor 40 Jahren wurde Extremistenbeschluss gefasst

Gegen radikale Lehrer und Postboten

Willy Brandt bezeichnete ihn später als Irrtum. Am 28. Januar 1972 fassten Bundeskanzler Brandt und die Ministerpräsidenten der mehrheitlich Unions-geführten Bundesländer den Extremistenbeschluss. Er besagte: Anhänger radikaler politischer Gruppierungen dürfen nicht Staatsdiener sein.

Autor/in:
Martin Teigeler
 (DR)

"Klima der Angst und Schnüffelei"

Offiziell lautete die Anordnung "Grundsätze zur Frage der verfassungsfeindlichen Kräfte im öffentlichen Dienst". Lapidar hieß es darin: "Ein Bewerber, der verfassungsfeindliche Aktivitäten entwickelt, wird nicht in den öffentlichen Dienst eingestellt."



Die bloße Mitgliedschaft in verfassungsfeindlichen Gruppen reichte fortan aus, um aus dem öffentlichen Dienst suspendiert zu werden. Wobei den Behörden viel Spielraum gelassen wurde, da keine verbindliche Liste extremistischer Vereinigungen als Entscheidungsgrundlage diente.



Erstmals seit der Nazi-Zeit gab es in der Bundesrepublik faktisch wieder Berufsverbote. Der Erlass "schuf ein Klima der Angst und Schnüffelei in Westdeutschland", urteilte "Der Spiegel".



Erlass gegen linke Aktivisten

Der Erlass richtete sich kurz nach der Revolte von 1968 gegen linke Aktivisten. Die Außerparlamentarische Opposition (APO) hatten einen "Marsch durch die Institutionen" angekündigt. Zu ihnen zählten Kriegsdienstverweigerer und Anhänger sozialistischer Gruppen, Ostermarschierer und Radikaldemokraten, engagierte Studenten und Schüler, Kommunisten, später auch Atomkraftgegner, Grüne und Vertreter der Friedensbewegung.



Im Mai 1975 bestätigte das Bundesverfassungsgericht den Erlass grundsätzlich. Allerdings mahnten die Richter einen genauen Nachweis der Verfassungsfeindlichkeit an. Die Mitgliedschaft in einer radikalen Gruppe reiche als Entscheidungsgrundlage nicht in jedem Fall aus. 1976 distanzierte sich die Regierung Schmidt nach jahrelanger Kritik der Öffentlichkeit von dem Erlass.



3,5 Millionen Überprüfungen

In einem offenen Brief an Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) wies die Internationale Liga für Menschenrechte aber noch 1987 darauf hin, dass die praktizierte politische Überprüfung von Beschäftigten im öffentlichen Dienst einzelner Bundesländer in völkerrechtswidriger Weise gegen internationale Übereinkommen verstoße.



Erst Ende der 80er Jahre zogen erste SPD-geführte Landesregierungen die Konsequenzen und schafften die entsprechenden Erlasse in ihren Ländern ab. Die CDU/CSU-regierten Länder folgten, wobei es auch danach noch Ablehnungen von Bewerbern aus politischen Gründen gab.



Rund 3,5 Millionen Bewerber für den öffentlichen Dienst wurden insgesamt auf Verfassungstreue durchleuchtet. Etwa 1.500 Personen lehnten die Behörden ab oder entfernten sie aus dem Staatsdienst.



Der einstige Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) sagte rückblickend über den Erlass, er habe "Teile der jungen Generation pauschal verdächtigt, gegen diesen Staat zu sein".