Ernesto Cardenal, Dichter, Befreiungstheologe und früherer Kultusminister Nicaraguas, ist am 1. März 2020 im Alter von 95 Jahren gestorben. Er wurde am 6. März auf der zum Solentiname-Archipel zählenden Insel Mancarrón beerdigt - wegen befürchteter Angriffe auf die Trauergemeinde einen Tag vor dem geplanten Termin. Am 20. Januar 2020 hatte er noch seinen 95. Geburtstag gefeiert.
Der mit zahlreichen Preisen geehrte Cardenal war auch im hohen Alter weiter aktiv und nahm pointiert zu politischen und kirchlichen Fragen Stellung. Im Februar 2019 hatte Papst Franziskus überraschend alle kirchlichen Sanktionen gegen den Priester aufgehoben, dessen Gesundheitszustand damals als besorgniserregend galt.
1985 hatte Johannes Paul II. ihm die Ausübung des priesterlichen Dienstes verboten, weil Cardenal nach dem Umsturz gegen die Somoza-Diktatur in Nicaragua ein Ministeramt in der Revolutionsregierung bekleidete. Für sein literarisches Werk erhielt Cardenal 1980 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und 2012 den spanischen Königin-Sofia-Preis für Iberoamerikanische Literatur.
Cardenal gehört zu den schillerndsten Figuren Lateinamerikas. Er nennt sich "Sandinist, Marxist und Christ". Nach einem Literaturstudium in New York beteiligte er sich 1954 am ersten, gescheiterten Putsch gegen den Somoza-Clan. 1957 trat er in das US-Trappistenkloster Gethsemany im Bundesstaat Kentucky ein. Vor seiner Priesterweihe studierte Cardenal von 1961 bis 1965 in Mexiko und Kolumbien Theologie.
1966 gründete er auf der Insel Solentiname im Nicaragua-See eine an radikal-urchristlichen Idealen orientierte Gemeinschaft. Aus den dortigen Erfahrungen entstand sein wohl bekanntestes Buch, das "Evangelium der Bauern von Solentiname". Allein im deutschsprachigen Raum verkaufte der Peter-Hammer-Verlag weit mehr als eine Millionen Bücher Cardenals.
1977 floh Cardenal nach Costa Rica und warb um Unterstützung für die Sandinisten. Zwei Jahre später wurden er und zwei weitere Priester Minister unter Präsident Daniel Ortega. Gemeinsam mit dem inzwischen gestorbenen Ex-Showmaster Dietmar Schönherr gründete Cardenal in seiner Geburtsstadt Granada eine Einrichtung, die europäische, indianische und afrikanische Kulturelemente miteinander ins Gespräch bringen will. (KNA/DR)