Hamed Abdel-Samad

Hamed Abdel-Samad / © Dominik Becker (DR)

Das erste, das ich in diesem Fall tue, ist Hamed Abdel-Samad in diese Sendung einladen. Was gar nicht so einfach ist. Seitdem der gebürtige Ägypter, der vor vielen Jahren nach Europa floh, seine Biographie geschrieben hat, erhält er Morddrohungen. Deswegen machen wir das Interview unter Personenschutz.  LKA, BKA und Staatschutz bleiben, nachdem Hamed Abdel-Samad einen Blick auf mich in einem Düsseldorfer Hotel geworfen hat, zwar vor der Türe stehen - in mir aber bleibt ein schales Gefühl: Morddrohungen wegen Meinungsfreiheit. Echt jetzt? Echt jetzt!
 
Der Schutz ist bitter nötig: "Es gibt Mordaufrufe gegen mich von Dschihadisten der schlimmsten Sorte." Dass Hamed Abdel-Samad die Gefahr in Kauf nimmt, liegt an seiner Mission: für die Freiheit einstehen. "Wenn es passieren sollte, will ich auch am letzten Tag in den Spiegel schauen können, ich habe mich dem nicht gebeugt, ich will kein Märtyrer sein, ich will frei leben und wenn es nicht klappt, dann will ich frei sterben." Nachdem ich nicht nur sein neuestes Buch über die Integration, sondern auch seine Autobiographie gelesen habe, verstehe ich seine Sehnsucht nach Freiheit.
 
Abschied vom Himmel

 
"Abschied vom Himmel" ist ein gewaltiges Buch: fast roh und nackt und so aufrichtig, dass es weh tut, erzählt Hamed Abdel-Samad seine Geschichte. Eine Geschichte voller Sehnsucht, am Anfang nach Goethe, Rilke und Europa, am Ende nach Freiheit und Befreiung. Eine Geschichte von Gewalt, auch von sexueller Gewalt an kleinen Jungen. Schonungslos erzählt der Autor, welche furchtbaren Folgen die Vergewaltigungen für ihn haben. Aber es ist auch eine Geschichte von Liebe. Z.B. wenn am Ende der Vater, ein Iman, auf den enormer Druck ausgeübt wird, den eigenen Sohn zu verdammen, sagt: "Wenn das Buch dir geholfen hat, dich besser zu fühlen, Sohn, dann ist es ein gutes Buch."
 
"Meine Geschichte ist keine Integrationsgeschichte, sondern eine Befreiungsgeschichte." Diese Befreiungsgeschichte aber ist der Hintergrund, auf dem der Schriftsteller so leidenschaftlich für Integration kämpft. Indem er über das Scheitern schreibt, hofft er auf das Gelingen, zeigt misslungene und gelungene Beispiele: "Wäre die Integration gelungen, bräuchten wir die Debatte nicht." Pointiert spricht Samad über das Problem: "Hat man je von einem Buddhisten gehört, der alle zwingt Vegetarier zu werden?" Das Problem seien Teile der arabischen und türkischen Community :"Man will beides haben, die wirtschaftlichen Vorteile einerseits, aber auch das Mittelalter miteinfliegen und hier einfrieren lassen."
 
Ein paar Lieder singen und über Abraham reden reicht nicht
 
Samad warnt, das Thema den Rechten zu überlassen: "Wir müssen die Debatte um den Islam in die Mitte der Gesellschaft holen, wir können uns nicht leisten, sie nach rechts abdriften zu lassen, da gehört sie nicht hin!" Samad beschwört beide Seiten: Einerseits geht es ihm darum "Muslime endlich mal vom Beleidigtsein zu lösen und nicht immer die Rassismuskeule zu schwingen, wenn man sie oder ihre Religion kritisiert. Die Befindlichkeiten sind so groß, dass man nicht ehrlich ist, das fehlt mir." Aber er sagt andererseits in unsere Richtung: "Wenn man sich zusammen tut, ein paar Lieder singt, über Abraham redet, aber am Ende nicht über die Misere, dann ist es für mich kein echter Dialog."
 
Wie auf einer Schnur aufgefädelt, reiht Samad Sätze wie Perlen aneinander. Alle können Sie in der Sendung hören, einen gibt es hier noch zu lesen: "Wer Geld und Ruhm sucht, vielleicht bekommt er es. Wer aber die Suche nach sich selbst und der Liebe beginnt, der gelangt auch dorthin. Ich glaube, das ist die einzige Gerechtigkeit, die es im Leben gibt."