Pierbattista Pizzaballa - Ein Patriarch für den Papstthron?
Italienischer Ordensmann ist im Nahen Osten geliebt und geschätzt
Von Andrea Krogmann (KNA)
An seiner Wirkungsstätte in Jerusalem scheint der Norditaliener kaum
ersetzbar. Ansonsten aber spricht viel für ihn - außer seinem jungen
Alter: Patriarch Pizzaballa wurde neulich erst 60; am Tag, als Papst
Franziskus starb.
Jerusalem/Rom (KNA) Glaubt man der israelischen Presse, ist er ein
Top-Favorit für die Nachfolge im Papstamt. Auch in vielen anderen
Blättern wird Kardinal Pierbattista Pizzaballa in den Top Ten der
«papabile» gehandelt. Der italienische Franziskaner, seit 2020
Lateinischer Patriarch von Jerusalem, vereint Qualitäten, die ihn als
geeigneten nächsten Papst erscheinen lassen - wäre da nicht sein
junges Alter. Pizzaballa wurde kürzlich 60 Jahre alt; am Tag, als
Papst Franziskus starb.
Mit dem Argentinier verbanden den Patriarchen die Sorge und das
Engagement für die kleine christliche Minderheit im Gazastreifen,
Pizzaballas Vorposten mitten im Hamas-Gebiet. Mit ihnen hielt
Franziskus bis zu seinem Tod regelmäßigen telefonischen Kontakt.
Pizzaballa ging noch einen Schritt weiter. Als einziger Kirchenführer
besuchte er das Kriegsgebiet für mehrere Tage.
Anders als die meisten Amtskollegen anderer Konfessionen in Nahost
bezog Pizzaballa klare Position gegen die «barbarischen Akte» der
Hamas in Israel. Mit «dem gleichen Gewissen» und «der gleichen
Klarheit» prangerte er Tod und Zerstörung in Gaza an und forderte
Dialog und Verhandlungen. Internationale und weltkirchliche Achtung
erhielt er auch für einen Zug: Gleich zu Beginn des Kriegs bot er der
Hamas im Gazastreifen an, sich gegen die israelischen Geiseln
austauschen zu lassen.
Mehrheitlich arabische Herde
Nach nun 35 Jahren in Jerusalem ist Pizzaballa vertraut mit dem
Heiligen Land, seiner vielfältigen und vielfach gespaltenen
Gesellschaft sowie dem nicht enden wollenden Konflikts zwischen
Israelis und Palästinensern. Unter dessen Räder droht die
mehrheitlich arabische Herde Pizzaballas allzu oft zu geraten.
Am 21. April 1965 in Cologno al Serio südlich von Bergamo geboren,
verschlug es den Franziskaner bereits mit 25 Jahren kurz nach seiner
Priesterweihe nach Jerusalem, wo er seither verschiedenste Rollen und
Ämter ausfüllte. Zunächst gab er die hebräische Version des Messbuchs
heraus und übersetzte liturgische Texte für die hebräischsprachige
katholische Gemeinde Jerusalems, für die er mehrere Jahre
verantwortlich war.
Neben seiner Muttersprache und Englisch spricht Pizzaballa fließend
Hebräisch und kennt die israelische Gesellschaft gut. Eine Qualität,
die man spätestens 2008 in Rom erkannte, als man ihn zum Berater in
der Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum machte.
Erster Kardinal in Jerusalem
Von 2004 bis Mai 2016 war er Vorsteher seines Ordens im Heiligen
Land, mit damals 38 Jahren der zweitjüngste Kustos in die Geschichte
der Franziskaner im Heiligen Land. Es folgten vier Jahre als
päpstlicher Interims-Verwalter des Lateinischen Patriarchats. Im
Oktober 2020 ernannte machte der Papst Pizzaballa dauerhaft zum
Patriarchen von Jerusalem. Elf Monate später ernannte er ihn zum
Kardinal - dem ersten, der in Jerusalem residiert.
Der Ernannte sah darin eine Stärkung für den Nahen Osten und
besonders für Jerusalem. «Wir wissen, dass Papst Franziskus sehr nah
an den Peripherien und an Konfliktherden ist: Wir sind beides», sagte
er nach seiner Nominierung. In der Stadt sah man ihn über
Konfessions-, teils sogar Religionsgrenzen hinweg als «unseren
Kardinal».
Eine klare Stimme gegen nationalreligiöse, zunehmend extremistische
und rassistische Tendenzen in der israelischen Politik war der
Italiener bereits vor dem Krieg. Er warnte vor Schaden für das
zerbrechliche Gefüge der multiethnischen und multireligiösen
Gesellschaft Israels und das Gleichgewicht zwischen den
Glaubensgemeinschaften. Darin drohe die christliche Minderheit zum
Kollateralschaden zu werden.
«Pizzaballa-Sprech»
Seinen Gläubigen sprach er unablässig Mut zu und appellierte an ihre
Glaubensstärke und ihren christlichen Stolz. Palmsonntag wurde so -
im «Pizzaballa-Sprech» - zum christlichen Jerusalem-Tag. Wiederholt
forderte er ein neues christliches Narrativ zu Jerusalem. Während
sowohl Muslime als auch Juden ein sehr klares religiöses Narrativ
hätten, falle es Christen offenbar schwerer, ihre eigene Vision eines
offenen, universellen Jerusalems angemessen zu begründen. Das brauche
es aber, wenn «Christen über die Zukunft Jerusalems mitreden wollen».
Dabei warnte Pizzaballa die Kirche gleichermaßen vor falsch
verstandener Neutralität wie vor politischer Vereinnahmung.
Der Italiener gehört weder ins Reformer- noch ins
Traditionalistenlager. Theologisch eher konservativ, warb er in der
Vergangenheit für Kontinuität und «Erneuerung ohne Revolution». Wie
kaum ein zweiter bringt der Kardinal Erfahrung und Kenntnis der
Buntheit der lateinischen Kirche, der christlichen Vielfalt sowie
beiden anderen monotheistischen Religionen Judentum und Islam mit.
Italiener von außerhalb
Als langjähriger Auslandsitaliener könnte er das richtige Maß an
Zugehörigkeit und Distanz haben, um gleichermaßen für Italiener wie
andere wählbar zu sein. Zudem sagt man dem Franziskaner die
Unterstützung der Ordens-Wähler nach.
Viele Argumente sprächen für den klugen, meist ausgewogenen und bei
Bedarf glasklaren Kardinal aus Jerusalem. Mit 60 Jahren stünde der
Kirche allerdings mit statistisch hoher Wahrscheinlichkeit unter
Pizzaballa ein langes Pontifikat bevor. Ein Übergangspapst, wie ihn
sich manche wünschen, wäre der Italiener nicht. Im Nahen Osten
wiederum wünschte man sich diese langjährige Stabilität. Dort scheint
der Norditaliener als Patriarch von Jerusalem kaum ersetzbar.
Kardinal
Pierbattista Pizzaballa

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