domradio.de: Sie arbeiten eng mit der Kommission Justitia et Pax zusammen. 1967 wurde die Deutsche Kommission gegründet. Was war vor 50 Jahren der Anlass?
Prof. Heinz-Gerhard Justenhoven (Leitender Direktor des Instituts für Theologie und Frieden): Den Anlass hat die päpstliche Enzyklika "Populorum progessio" von Papst Paul VI. gegeben, mit dem auf der Ebene der kirchenamtlichen Lehre zum ersten Mal die Themen Frieden und Entwicklung verknüpft worden sind. In den 1960er Jahren ist sehr deutlich geworden, dass Frieden in der Welt nur möglich wird, wenn wir das Entwicklungsthema, also die Gerechtigkeitsfrage, wieder auf die Agenda heben.
Das war der Anlass, um sich in den nationalen Kommissionen zusammen zu setzen, runde Tische zu gründen und die Menschen und Organisationen zusammen zu holen, die sich mit dem Thema Frieden und Gerechtigkeit beschäftigen. Diese Arbeit sollte besser vernetzt werden.
domradio.de: Ein Markenzeichen der Deutschen Kommission Justitia et Pax sind die Exposure- und Dialogprogramme (EDP). Welche Rolle spielen die?
Justenhoven: Die Programme haben das Ziel, Entscheidungsträger aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft mitzunehmen. Sie sollen die Lebenssituation von Menschen in prekären Lebensverhältnissen miterleben. Das heißt ganz konkret: Man lädt einen Parlamentarier, der über die Entwicklungszusammenarbeit entscheidet, oder einen Entscheidungsträger aus der Industrie ein, sich das Leben eines Kleinbauern oder einer Familie in Indien oder Subsahara-Afrika anzuschauen und mit den Menschen ein paar Tage zu verbringen. Sie sollen dort am eigenen Leib erfahren, was es heißt, unter diesen Bedingungen den Alltag zu gestalten.
domradio.de: Auch Ihr Institut für Theologie und Frieden arbeitet mit Justitia et Pax zusammen. Wie sieht diese Zusammenarbeit aus?
Justenhoven: Die Aufgabe meines Institutes ist es, sich mit ethischen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik zu beschäftigen. Ich nenne mal ein Beispiel: Die europäische Gemeinschaft versucht in einem internationalen Kontext in Mali eine Situation zu befrieden, in der seit 50 Jahren ein gravierender politischer Konflikt besteht.
Unsere Aufgabe ist es nun, die ethischen Grundfragen - und hier zum Beispiel die Frage nach der mangelnden politischen Partizipation, vor allem der Tuareg-Bevölkerung im Norden Malis - in den Blick zu nehmen und in die politische Debatte einzuführen und dies zum Beispiel als Expertenwissen in die Kommission Justitia et Pax einzubringen. Im Gespräch mit Politik und Öffentlichkeit kann dies als gemeinsame kirchliche Stellungnahme eingebracht werden.
domradio.de: Gefeiert wird unter dem Motto "Das Gemeinwohl weltweit denken - Neue Wege integraler Entwicklung gehen". Um welche neuen Wege geht es?
Justenhoven: Wir sehen heute klarer als noch vor 30, 40 Jahren, dass Entwicklung nicht heißen kann, dass unser Modell des Wohlstands auf andere Regionen in der Welt übertragen werden kann. Gerade im asiatischen Bereich haben die Menschen ein sehr starkes Bewusstsein dafür, dass sie eine eigene Kultur haben und eigene Wege der Entwicklung gehen wollen.
Hier muss man in einer neuen Partnerschaft auf Augenhöhe überlegen, in welcher Verantwortung wir stehen. Es ist auch die Frage, wie wir zum Beispiel gravierenden Hunger in Subsahara-Afrika beenden können, ohne deswegen gleich unser Gesellschaftsmodell und unsere Vorstellungen von gutem Leben in diese Welt zu übertragen.
Das Gespräch führte Tobias Fricke.