DOMRADIO.DE: Wir sind im nächsten Corona-Herbst und steuern auf den nächsten Corona-Winter zu. Wie geht es Ihnen persönlich aktuell?
Prof. Dr. Dr. Holger Zaborowski (Professor für Philosophie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt): Ich glaube, es geht mir wie vielen, dass wir zunächst mal kaum erwartet haben, dass wir einen zweiten Corona Winter erleben. Das ist erst einmal eine gewisse Niedergeschlagenheit, auch zu sehen, wie gesellschaftlich, politisch lange Zeit die Signale, die von den Experten und Expertinnen gegeben wurden, nicht aufgegriffen wurden und wie langsam dann doch reagiert wird und welche Bedeutung das auch für uns als Gesellschaft hat.
Recht fassungslos macht mich auch die Tatsache, dass es doch enorme Widerstände gegen die Impfung gibt und man nicht sieht, dass eine gewisse Solidarität mit der Impfung verbunden ist. Dass es eigentlich ein Gebot der Stunde wäre, sich ernsthaft zu überlegen, sich noch impfen zu lassen. Denn wir wissen ja, dass wir in einer Situation wie der heutigen oder jetzigen sind, weil eben eine sehr hohe Anzahl von Menschen sich noch nicht hat impfen lassen.
DOMRADIO.DE: Die Texte in diesem Buch haben Sie eigentlich schon mit Blick auf den Advent 2020 verfasst, geschrieben und herausgegeben. Hätten Sie gedacht, dass ein Jahr später diese Texte noch immer topaktuell sind?
Zaborowski: Als wir das Buch geplant haben, hatten wir das nicht gedacht. Die Texte wurden ursprünglich auf dem Portal katholisch.de veröffentlicht, Tag für Tag im Advent. Die haben eine sehr große Resonanz erfahren. Wir haben viele Rückmeldungen bekommen. Menschen, die wir gar nicht kannten, haben uns geschrieben, dass ihnen die Texte sehr geholfen haben, durch die Adventszeit zu kommen. Es wurde auch gefragt, ob man die Texte noch mal in einem Buch nachlesen kann, in dem man einfach rumblättern und die Texte noch mal im Zusammenhang lesen kann.
Daraufhin haben wir überlegt, das Buch herauszubringen, zunächst mal als Dokumentation dieses Corona-Winters 2020. Und wir hatten gehofft, dass die Aktualität verloren geht. Das hat man selten bei Büchern, dass man hofft, dass die Aktualität verloren geht und dass es eher einen dokumentarischen Rang hat. Aber wir merken gerade in diesem Jahr, dass alle Texte weiterhin hochaktuell sind.
DOMRADIO.DE: Das sind 25 kurze Impulse. Wer hat diese Texte geschrieben?
Zaborowski: Wir haben ganz unterschiedliche Autoren angefragt. Unser Anliegen war es, auf der einen Seite kirchliche Stimmen zu fragen. Wir haben den Bischof von Erfurt, Bischof Neymeyr zum Beispiel als Autor, Innenstadtpfarrer Dominik Meiering aus Köln und viele andere aus dem kirchlichem Kontext gewinnen können. Wir haben gesellschaftliche Stimmen dabei. Das war uns sehr wichtig, mit Frau Lücking-Michel zum Beispiel oder Monika Grütters auch gesellschaftliche, kirchlich gebundene Stimmen zu haben.
Aber wir haben auch über das Christentum hinaus mit Herrn Khorchide eine islamische Stimme zum Beispiel oder mit Walter Homolka auch eine jüdische Stimme, um auch zu signalisieren, dass der Advent 2020 und dann auch 2021 etwas ist, was über die Grenzen des Christentums hinaus zu fragen reizt und zur Frage herausfordert, welche Hoffnung wir haben, wie reagieren wir als an Gott glaubende Menschen auf diese Corona-Krise? Was bedeutet es, auf der einen Seite auf Weihnachten hin zuzugehen, also auf die Menschwerdung Gottes hin zu blicken und dann dieses Leid zu erfahren und in einer solchen gesellschaftlichen Krise zu sein?
Von daher haben wir versucht, relativ breit sehr verschiedene Autorinnen und Autoren zu fragen, persönlich nachzudenken, was bedeutet das, Advent zu begehen, sich auf Weihnachten im Schatten dieser Krise vorzubereiten.
Das Anliegen war, nicht nur das Negative herauszustellen, sondern vor allem das Hoffnungselement des Adventes noch stärker in den Blick zu nehmen. Deshalb eben auch der Titel "Advent trotz(t) Corona", also zu fragen, inwiefern ist gerade der Advent, ist gerade auch Weihnachten, ist die Botschaft von Weihnachten, die Botschaft der Zuwendung Gottes zum Menschen, eine Botschaft, die uns helfen kann, Antworten zu finden oder zumindest in Wege zu blicken, auf denen sich dann mögliche Antworten zeigen können.
DOMRADIO.DE: In Ihrem Buch haben Sie ein paar Beispiele, eben auch zur Frage, wie wir diesem Corona-Blues etwas Gutes, etwas Mutmachendes entgegensetzen können.
Zaborowski: Sehr schön finde ich zum Beispiel den Beitrag von Monsignore Georg Austen, der am 6. Dezember veröffentlicht wurde, zum Nikolaustag. Das ist für viele ein wichtiger Tag, ein wichtiger Einschnitt in der Adventszeit. Da wird gefragt, wie der Nikolaustag unter den Vorzeichen der Corona- Pandemie gefeiert werden kann.
Es gibt eine ganze Reihe von anderen Beiträgen, die mit Blick auf Weihnachten auch noch mal Bezug auf das Licht nehmen. Die versuchen, ganz persönlich zu reflektieren, was das heißt und welche existenziellen Fragen da aufbrechen. Margot Käßmann hat einen Beitrag geschrieben und darauf hingewiesen, inwiefern der Corona-Advent auch Raum für existenzielle Fragen gibt. Joachim Hake aus Berlin hat sehr stark den Moment des Trostes noch mal herausgearbeitet.
Das heißt, wir haben hier immer wieder versucht, auch dieser Spannung gerecht zu werden zwischen der Trostlosigkeit, die damals ja auch noch stärker war als heute, weil wir damals ja noch keine Impfungen hatten oder die Impfung noch vor uns stand und der Hoffnung, die mit der Adventszeit und der Weihnachtsbotschaft verbunden ist.
DOMRADIO.DE: Welche Rolle spielt die Krippe aus der Kirche Sankt Agnes in Hamm in diesem Buch?
Zaborowski: Die spielt, glaube ich, eine sehr schöne Rolle in diesem Buch. Wir haben uns, in Absprache mit dem EOS-Verlag überlegt, wie wir wir dieses Buch illustrieren. Ein Buch zur Adventszeit muss auch illustriert werden. Da gibt es eine Reihe von Möglichkeiten, die man kennt.
Dann sind wir auf eine Krippe gestoßen, die hochinteressant ist, weil sie im Grunde eine abstrakte Krippe darstellt. Das ist eine Krippeninstallation des Instituts für Inszenierung. Dahinter stecken zwei Künstler: Sabine Reibeholz und Marc von Reth. Marc von Reth hat auch einen eigenen Beitrag zu diesem Buch geschrieben. Das Besondere dieser Krippe ist, dass sie ganz anders ausschaut als diese typischen Krippen, die wir so kennen. Dass wir also im Grunde sehen, wie langsam über die Adventszeit hinweg sich von oben herab eine helle Lichtkugel hinunter neigt.
Unser Anliegen war hier, diese Bilder selbst als Möglichkeit zur Meditation über die Weihnachtsbotschaft und die Adventszeit zu nutzen. Das heißt, jedes Bild ist auch noch mal neben den Beiträgen eine Einladung dazu, über das nachzudenken, was geschieht, über unsere Situation des Wartens, des Hingeordnetseins, der freudigen Erwartung auf Weihnachten - trotz der schwierigen Umstände.
Das Interview führte Carsten Döpp.