Im Laufe der langen Zusammenarbeit habe er immer deutlicher seine enge Gottverbundenheit und seinen Mut auch in schwierigsten Momenten bewundert, betonte Benedikt XVI. in einem Gespräch mit der Mailänder Tageszeitung "Corriere della Sera". Der Einsatz und das Programm des polnischen Papstes seien unermüdlich gewesen, so Benedikt XVI. Dabei habe dieser sich nicht von Applaus oder Zustimmung leiten lassen, betonte er in einem Buch des polnischen Journalisten Wlodzimierz Redzioch zur bevorstehenden Heiligsprechung von Johannes Paul II.
Als Hauptkriterium der Heiligkeit von Johannes Paul II. bezeichnete Ratzinger in dem Interview dessen "Mut zur Wahrheit". Nur aus seiner engen Gottesbeziehung heraus könne man seinen unermüdlichen pastoralen Einsatz verstehen: "Er hat sich mit einer Radikalität hingegeben, die man sich anders nicht erklären kann".
Die Gottesbeziehung sei für den polnischen Papst auch Grund seiner Fröhlichkeit inmitten größter Probleme gewesen, hebt Benedikt XVI. in dem Buchbeitrag hervor. "Johannes Paul II. hat nicht Applaus gesucht, er hat nie besorgt geschaut, wie seine Entscheidungen aufgenommen wurden. Er hat aus seinem Glaubens heraus und aufgrund seiner Überzeugungen gehandelt und war bereit, dafür Schläge einzustecken."
Benedikt XVI. berichtet, dass er mit dem polnischen Kardinal Karol Wojtyla erstmals vor der Wahl von Johannes Paul I. im Sommer 1978 zusammengetroffen sei. Er sei von dessen Analyse des Kommunismus, vor allem aber von dessen persönlicher Ausstrahlung fasziniert gewesen.
Während der Konzilszeit hätten sie beide in unterschiedlichen Bereichen gearbeitet. Doch er habe Wojtyla von dessen Schriften gekannt, ebenso wie dieser seine "Einführung in das Christentum" gelesen und auch zitiert habe, berichtet der emeritierte Papst.
Benedikt XVI. bestätigte in dem Interview, dass der Papst ihn bereits 1979 an den Vatikan rufen und mit der Leitung der Bildungskongregation habe betrauen wollen. Er habe ihn jedoch gebeten, die Versetzung mit Blick auf seine erst kurze Amtszeit als Erzbischof in München und Freising aufzuschieben. Als Johannes Paul II. ihn dann zwei Jahre später an die Glaubenskongregation berufen wollte, habe er sich in der Pflicht gefühlt. Seine einzige Bitte sei gewesen, auch weiter theologisch arbeiten und publizieren zu können.
Der Kurs gegenüber der Befreiungstheologie
In dem Interview erläuterte Benedikt XVI. auch die Linie seines Vorgängers gegenüber der Befreiungstheologie erläutert. Der Papst aus Polen habe einem marxistisch inspirierten Befreiungsbegriff entgegenwirken, zugleich aber den Einsatz für Freiheit aus christlichem Glauben heraus fördern wollen, sagte sein langjähriger Mitarbeiter und Nachfolger Benedikt XVI. dem polnischen Journalisten Wlodzimierz Redzioch.
Nach seinen persönlichen Erfahrungen mit dem Kommunismus in Polen sei es für Johannes Paul II. es ein dringendes Anliegen gewesen, sich mit der Befreiungstheologie auseinanderzusetzen, so Ratzinger. Die in Lateinamerika aufgekommene Theologie sei in Europa und Nordamerika übernommen worden, da man sie als Unterstützung für die Armen verstanden habe, also als ein Anliegen, dem man ohne weiteres zustimmen könne. "Aber das war ein Fehler", so der emeritierte Papst.
Denn zwar sei es diesen Theologien um Armut und Arme gegangen, aber nicht um Hilfeleistungen, sondern um eine "große Umwandlung, aus der eine neue Welt" entstehen sollte: "Der christliche Glaube wurde damit zum Motor für revolutionäre Bewegungen und damit zu einer Art politischer Macht umgewandelt", so Benedikt XVI.
Einer solchen Verfälschung des christlichen Glaubens habe man sich aus Liebe zu den Armen widersetzen müssen, war Johannes Paul II. laut Benedikt XVI. überzeugt. Der polnische Papst habe Versklavung durch die marxistische Ideologie, die auch die Befreiungstheologie beeinflusst habe, in seiner Heimat erlebt. Aufgrund dieser schmerzhaften Erfahrungen sei er entschlossen gewesen, dieser Art von vermeintlicher Befreiung entgegenzutreten.
Andererseits habe ihm gerade die Situation in seiner Heimat gezeigt, dass die Kirche tatsächlich für Freiheit und Befreiung agieren müsse. Allerdings nicht politisch, "sondern indem sie im Menschen über den Glauben die Kräfte einer authentischen Befreiung weckt", so Benedikt XVI.
Die Auseinandersetzung mit der Befreiungstheologie sei das erste große Thema gewesen, mit dem der Johannes Paul II. ihn nach seiner Ernennung zum Präfekten der Glaubenskongregation 1982 betraut habe. Zu dem Thema veröffentlichte die Glaubensbehörde 1984 und 1986 zwei Dokumente.