Das Ruhrgebiet ist eine Welt für sich - und auch die katholische Kirche hat dort ihr eigenes Gesicht. Kohlebergbau und Stahlindustrie haben nicht nur die Wirtschaft dort geprägt. Folge der Montanindustrie ist auch das Ruhrbistum, das vor 60 Jahren aus der Taufe gehoben wurde. Die macht aber wegen rückläufiger Kirchenmitgliederzahlen einen gravierenden Wandel durch, der auch Widerspruch provoziert.
Nach mehrjährigen Verhandlungen wurde am 1. Januar 1958 der Vertrag zur Gründung des Ruhrbistums rechtskräftig. Dafür gaben die Bistümer Köln, Paderborn und Münster Teile ihrer Territorien ab. Leitende Idee war, in der Seelsorge gezielt auf Bergleute und Stahlkocher zuzugehen, die sich mit der Kirche schwertaten. Für dieses Konzept hatte sich schon in den 1920er Jahren Eugenio Pacelli, der damalige Nuntius in Berlin und spätere Papst Pius XII., stark gemacht. Doch Nazi-Zeit und Zweiter Weltkrieg ließen das nicht zu. Erst in den 50er Jahren lebte der Gedanke wieder auf. Der damalige Münsteraner Bischof Michael Keller gewann Rom dafür - sehr zum Ärger seiner beiden Amtsbrüder in Köln und Paderborn, den Kardinälen Josef Frings und Lorenz Jaeger.
"Geburtsfehler" der Diözese
Damals ging man noch davon aus, dass sich das Ruhrgebiet zur Boom-Region entwickeln würde. "Paderborn sagte damals: Wir wollen kein Mammut-Bistum. Und damit verbunden stand die Aussage: Wir wollen kein Mammon-Bistum, also eine Diözese mit hohen Kirchensteuereinnahmen", erläutert der Kirchenhistoriker Franziskus Siepmann. Deshalb habe es "ein großes Gefeilsche um Städte, Katholikenzahlen und potenzielle Kirchensteuereinnahmen" gegeben. Und so entstand ein viel kleineres Bistum als ursprünglich angedacht. Städte wie Dortmund oder Wanne-Eickel blieben bei Paderborn.
Umgekehrt kam das protestantische Märkische Sauerland zum Ruhrbistum - auch dies für Siepmann ein "Geburtsfehler" der Diözese. Erster Ruhrbischof war Franz Hengsbach, der in seinem Ring ein Stück Kohle trug, Grubenfahrten machte und gegen Massenentlassungen mitdemonstrierte. Damit machte er sich zum Anwalt des kleinen Mannes. Mit der Begeisterung für ihn sei es aber vorbei gewesen, nachdem er als strenger Gegner der künstlichen Geburtenkontrolle auftrat, so Siepmann.
Immense Strukturanpassung
Aus Sicht des heutigen Ruhrbischofs Franz Josef Overbeck konnte seine Diözese durchaus eine Nähe zu vielen Leuten herstellen, die mit der Kirche fremdelten. Zugleich stellt er nüchtern fest, dass sich viele Erwartungen nicht erfüllt haben. Statt einer Wohlstandsregion habe sich ein Revier mit besonders vielen Arbeitslosen entwickelt. Zudem sei nach 60 Jahren zu beobachten, dass - wie in allen anderen Bistümern - die Volkskirchlichkeit geschwunden ist und weiter schwindet. 1958 zählte die Diözese 1,5 Millionen Mitglieder, heute knapp 790.000. Das zwingt zu einer immensen Strukturanpassung. Bereits die früheren Bischöfe Hubert Luthe und Felix Genn stießen Reformen an.
2006 wurden - teils gegen heftige Widerstände - 259 Gemeinden zu 43 Großpfarreien verbunden und 100 Kirchen aufgegeben. Angesichts weiter rückläufiger Mitgliederzahlen sollen die Pfarreien bis Ende 2017 Overbeck Pläne vorlegen, wie sie sich die Seelsorge für die kommenden Jahre vorstellen. Im Schnitt müssen sie bis 2030 rund die Hälfte ihrer Ausgaben einsparen. Mit dem «Pfarreientwicklungsprozess» verbunden ist die Frage, welche Kirchen und Gemeindegebäude erhalten oder aufgegeben werden. Auch das dürfte nicht geräuschlos ablaufen.
"Ein starkes Wir-Gefühl"
Rufe aus den Gemeinden, die Diözese wieder in die reicheren Mutterbistümer Köln, Münster und Paderborn zu integrieren, weist Essens Generalvikar Klaus Pfeffer zurück. In den 60 Jahren habe sich "ein starkes Wir-Gefühl" entwickelt. "Warum sollten wir uns auseinanderreißen lassen?", fragt der Geistliche. Er verweist auf die 20 innovativen Ideen, die das Bistum in mehreren Foren entwickelt hat, um die Kirche im Revier lebendig zu halten. Dazu gehören Pop-Kantoren oder die Möglichkeit, Gottesdienste zu bewerten und so zu verbessern. Für Overbeck darf die Kirche Überkommenes nicht einfach konservieren: "Es braucht auch neue Ansätze - gerade für die junge Generation."