DOMRADIO.DE: Lateinamerika leidet besonders stark unter der Pandemie. Gerade in Brasilien explodieren die Infektionszahlen. Außerdem gibt es noch eine neue Mutation, die auch noch dazukommt. Wie sehr beunruhigen Sie die aktuellen Nachrichten aus Lateinamerika, aus Brasilien?
Thomas Wieland (Leiter der Projektabteilung bei Adveniat): In Lateinamerika ist die Situation unterschiedlich. Brasilien beunruhigt uns deswegen, weil der nicht-professionelle Umgang mit der Pandemie dafür sorgt, dass eine neue Mutante im Amazonasgebiet entstanden ist, die sich ausbreitet und gegen die, wie es zurzeit aussieht, auch Impfstoffe nicht wirksam sind.
DOMRADIO.DE: Wie ist die Situation in den anderen Ländern, wenn Sie sagen, es ist unterschiedlich?
Wieland: Uns freut zum Beispiel Chile. Dort gibt es eine stabile Regierung und die Bevölkerung konnte durchgeimpft werden. Ähnlich wie in den Ländern, wo das besonders erfolgreich geschafft wurde, wie die Vereinigten Arabischen Emirate oder Israel. Da ist die Bevölkerung weitgehend geschützt.
Es zeigt sich in der Pandemie, dass die nicht funktionierenden Staaten und Regierungen auch nicht in der Lage sind, die Pandemie einzudämmen und das Notwendigste für ihre Bevölkerung zu tun. Brasilien ist am bekanntesten dabei. Aber wir sehen es auch in zentralamerikanischen Ländern, in Nicaragua. Wir sehen es auch in Mexiko, dass die Zentralregierungen oft nicht bereit und nicht in der Lage sind, die entscheidenden Schritte einzuleiten.
DOMRADIO.DE: Es geht um gesundheitliche Chancengleichheit heute am Weltgesundheitstag - Stichwort Impfstoff. Eine faire globale Verteilung wird ja immer wieder diskutiert und angestrebt. Die ärmsten Länder sind aber nach wie vor die Verlierer. Wie ist denn da die Situation? Wird schon ausreichend geimpft?
Wieland: Es gibt Länder, die gut im Impf-Fortschritt sind. Chile ist eines dieser Länder. Auch in Brasilien sind inzwischen über sieben Millionen Menschen geimpft. Allerdings hatten diese Länder große Schwierigkeiten, überhaupt an den Impfstoff zu kommen. Die Verhandlungen mit den Herstellerfirmen waren schwierig. Manche greifen auch auf den russischen Impfstoff zurück. Brasilien versucht, einen eigenen Impfstoff zu entwickeln.
Gleichwohl sind die Startvoraussetzungen für arme Länder, um an Impfstoff zu kommen, deutlich schwieriger als für uns wohlhabende Länder wie Europa zum Beispiel, trotz der Schwierigkeiten, die wir haben. Für uns wäre es ein Wunsch und für das Wohl der Menschen sinnvoll, wenn die Patente freigegeben würden oder wenn die Produktion von Impfstoff auch dezentral erfolgen kann. So kann man deutlich mehr Menschenleben retten.
DOMRADIO.DE: Gemeinsam mit seinen Projektpartnern hat Adveniat in der Corona-Krise schon mehrere Millionen Euro als Nothilfe geleistet für die Menschen in Lateinamerika. Geht es denn da auch um Unterstützung für das Gesundheitswesen an sich?
Wieland: Es geht sowohl um Unterstützung für Menschen, die wegen Corona leiden, weil sie keine Einnahme haben und keine Lebensmittel mehr beschaffen können. Es geht auch um medizinische Unterstützung. Denn die katholische Kirche ist durch diese sehr kapillare Struktur überall dort präsent, wo der Staat oft gar nicht hinkommt. Deswegen ist der Basis-Gesundheitsdienst, den die katholische Kirche an vielen Ländern unter anderem zum Beispiel am besten in Guatemala leistet, hervorragend in der Corona-Pandemie.
Adveniat unterstützt sowohl bei Bildungsmaßnahmen, damit die Menschen lernen, wie man mit der Pandemie umgeht, als auch bei konkreten medizinischen Hilfen. Wir richten unseren Blick auch besonders auf besonders gefährdete Gruppen. Das sind die Indigenen. Wir sehen in Brasilien zum Beispiel, dass es notwendig ist, im Amazonasgebiet die Menschen zu unterstützen, die besonders der Pandemie ausgesetzt sind. Die äußern sich auch gegenüber der Regierung, fordern Rechte ein gegenüber dem Präsidenten Bolsonaro, damit ihr Gesundheitsschutz auch zum Anliegen der Regierung wird.
DOMRADIO.DE: Sie unterstützen die Menschen vor Ort, Sie klären auf, Sie informieren. Was meinen Sie, was sind wichtige Schritte in der Zukunft, damit wir näher an eine gesundheitliche Chancengleichheit herankommen?
Wieland: Wir sehen, dass die Pandemie die Schwächen der Gesundheitsversorgung offenlegt. Die lateinamerikanischen Länder haben in der ersten Dekade unseres Jahrtausends sehr gute Schritte gemacht, hin zu einer Gesundheitsversorgung für alle Bevölkerungsschichten. Das war mit Unterstützung der Weltbank und durch die Entwicklung der Welt der nachhaltigen Entwicklungsziele mit begleitet, auch weltweit als großes Ziel. Die lateinamerikanischen Staaten haben Fortschritte gemacht. Die Länder, in denen eher rechte oder konservative Regierungen in den letzten Jahren an die Macht gekommen sind, haben stärker wieder Privatisierungen des Gesundheitswesens vorgenommen.
Zunächst einmal hat der Staat die Aufgabe, für die Gesundheit der Menschen zu sorgen. Das soll er ernst nehmen und kostenlose Gesundheitsversorgung für die Bevölkerung zumindest in den Grundanliegen zur Verfügung stellen. Das muss er nicht mit großen Krankenhäusern tun. Wir als Lateinamerika-Hilfswerk sehen, dass die Basis-Gesundheitsversorgung vor Ort, wo auch viel Prävention geleistet werden kann, zentral ist für die Gesunderhaltung der Menschen. Das unterstützen wir mit unseren Hilfen über die kirchliche Struktur. Das ist ein wichtiger zweiter Punkt. Es geht nicht um die großen Krankenhäuser, es geht um die Basis-Gesundheitsversorgung der Bevölkerung. Und das ist ein zentraler Punkt, der gestärkt werden muss.
Das Interview führte Carsten Döpp.