"Gebe Gott, dass diejenigen, die diese Gewaltexzesse vor einem Jahr erlitten haben, mit ihren Verwundungen und der Angst leben lernen und Zukunft in Sicherheit haben", so Kardinal Rainer Maria Woelki gleich zu Beginn seiner Silvesterpredigt am Samstagabend im Kölner Dom.
"Vieles hat sich seit jener Nacht geändert: das Bewusstsein, wie verletzlich die Würde des Menschen, sein Leib und das Leben sind, das Bewusstsein, wie gewalttätig Sexismus ist und wie gefährdet Frauen mitten unter uns sind, ist auf erschreckende Weise geschärft".
Silvester in Köln ist ein Begriff
Beim Jahreswechsel vor einem Jahr war es rund um den Kölner Hauptbahnhof zu Diebstählen und sexuellen Übergriffen auf Frauen gekommen. Die Täter waren vor allem junge Männer aus Nordafrika und dem arabischen Raum.
Diese Erlebnisse hätten das Bewusstsein geschärft, wie gefährdet unsere Art zu leben sein könne - durch Bedrohungen von außen und von innen, so Woelki.
"Kölner Botschaft 2016"
Im Vordergrund stehe nun aber die Hoffnung, die auch in der "Kölner Botschaft" vom Januar 2016 zum Ausdruck gekommen sei, betonte der Kardinal.
Darin hatte er sich nach den Übergriffen gemeinsam mit anderen Prominenten zu einer offenen und gastfreundlichen Gesellschaft bekannt und ein entschiedenes Eintreten gegen Gewalt und Kriminalität gefordert.
Vertrauen fassen
"Wir haben gelernt wenig von dem zu zeigen, was uns wirklich bewegt", gab Woelki zu Denken. "Es lebt sich leicht nebeneinander her, ohne dass wir wirklich mitbekommen oder mitbekommen wollen, wie es einem anderen Menschen wirklich geht."
Das sei gewiss eine menschliche Stärke, aber nicht nur: Es sei "nicht schick", zu viel zu erzählen. Dabei gäbe es in jedem Leben den Punkt, an dem es wichtig ist, sich zuzumuten und anzuvertrauen. Ansprechpartner sei immer Gott, "der hat immer Zeit". Aber er schicke auch Menschen, an die wir uns vertrauensvoll wenden dürften und sollten, betonte der Kardinal.
"Fringsen" um zu Überleben – auch heute noch
Woelki erinnerte in dem Zusammenhang an die Worte seines Vorgängers Joseph Kardinal Frings vor 70 Jahren: "'Fringsen' heißt es seitdem, wenn Menschen sich etwas nehmen, das ihnen zwar eigentlich nicht gehört, aber um des Überlebens willen zusteht." Das sei auch heute noch möglich und manchmal nötig:
"Vielleicht steht ja jedem Menschen auf unserer Erde das Recht zu, zu überleben – auch wenn ihm nichts gehört."
Was will Gott von uns?
Angesichts der vielen neuen Herausforderungen dieser Zeit "werden wir auf das Wort Gottes hören müssen und uns jeweils neu zu fragen haben, wie wir es in unserer Zeit umsetzen wollen", betonte der Kardinal.
Dabei seien die Menschen der Wahrheit des Glaubens verpflichtet und müssten dieser unbedingt treu bleiben. Was nicht bedeute, das Evangelium strikt und eng auszulegen. "Es wird mehr und mehr darum gehen müssen, Orte der Glaubenserfahrung und des Kirche-Seins zu er-möglichen."
Neujahrsgebet
Zum Abschluss seiner Predigt appellierte Woelki, dafür zu beten, dass allen Frauen und Männern in dieser Stadt und darüber hinaus Menschen begegnen, die ihnen gut tun.
"Die Freude über Gottes Schaffenskraft bis in unser Leben hinein und auf die Zukunft hin begleite uns daher alle durch das Neue Jahr 2017, damit es ein Gutes wird; für Männer und Frauen; für solche, die hier geboren und aufgewachsen sind und für solche, die hier Zuflucht suchen, um dem von Gott geschenkten Leben eine Chance auf Überleben zu geben."