"Schön, dass Sie da sind! Herzlich willkommen!" Es sind unzählige Hände die Rainer Maria Kardinal Woelki an diesem Morgen schüttelt. Jeder Ankommende wird mit einem freundlichen Gruß bedacht. Wie der Kölner Erzbischof steht auch Generalvikar Dr. Markus Hofmann im Eingangsbereich der Euskirchener Bürgerhalle "City-Forum" und begrüßt die Menschen mit Handschlag. Dann macht er eine einladende Geste und gibt Hinweise, wo das Informationsmaterial zum Ablauf des Tages zu bekommen ist. Die beiden bilden – wie auch schon beim ersten Regionalforum am vergangenen Samstag in Köln – das Empfangskomitee, das auf diese sehr persönliche Form der Begrüßung und eine gelebte Willkommenskultur setzt. Schließlich sind sie die Gastgeber dieser großen Bistumsveranstaltungen und wollen die Menschen kennenlernen, mit denen sie sich im Anschluss an die Eucharistiefeier einen ganzen Tag lang austauschen wollen und die sie ausdrücklich um ihre Meinung – ein Feedback zur Zielskizze 2030 – bitten.
Es soll eine Begegnung auf Augenhöhe sein; daher sind alle bemüht, eine mögliche Hemmschwelle zwischen Bistumsleitung und Basis bei diesem Treffen, bei dem es um die aktuelle Etappe der zukünftigen Weichenstellungen für die Kirche von Köln geht, so niedrig wie möglich zu halten. Und so stellt sich auch gleich eine spürbar unbefangene, herzliche und auf Wertschätzung bedachte Atmosphäre ein, die später das Fundament für eine differenzierte Auseinandersetzung und manche intensive Diskussion in den 18 für den Nachmittag geplanten Workshops bilden soll. Ob Geistliche, Paare, junge Leute oder Ordensfrauen, ob im kirchlichen Dienst oder eigens von der ländlichen Peripherie und dem überregionalen Einzugsgebiet der Kreisstadt Euskirchen angereist – die Resonanz ist groß. Denn, so hatte es vorab geheißen, auf jeden kommt es an. Jeder ist eingeladen, sich einzubringen an diesem Tag: mit seinen Ideen, seinen Vorstellungen, seinem Lob, aber auch mit Kritik an den bislang nur als unfertiger Entwurf – eben als Skizze – aufgelisteten Veränderungen im Erzbistum Köln. Es geht darum, sich miteinander und füreinander "als Jüngerinnen und Jünger Jesu" Zeit zu nehmen, wie Woelki es dann in seiner Predigt formuliert, um abzuwägen, zu beraten, zu diskutieren – und das alles, so geben es die beiden Moderatorinnen Vera Krause und Dr. Bernadette Schwarz-Boenneke später im Plenum als Orientierungsmarke vor, in einem konstruktiven Ton und einer Haltung gegenseitigen Respekts.
Alle über Beteiligung mit ins Boot holen
An diesem Tag geht es nicht ums Schönreden einer Situation, die vielerorts als Kirchenkrise definiert wird. Das wird schnell deutlich. Und auch nicht darum, sich der Illusion hinzugeben: Das wird schon wieder von alleine, es bleibt nur abzuwarten... Nein, es geht um das ehrliche Benennen einer Situation, die nach Veränderung geradezu schreit, weil nichts mehr so ist, wie es einmal war, als die Kirchen noch voller waren, Pastoralkonzepte aufgingen und die Glaubensweitergabe an die nächste Generation gelang, wie es Kardinal Woelki schonungslos analysiert. Will man nicht über die Köpfe der Gläubigen hinweg entscheiden, sondern sie alle – soweit möglich – mit einer neu ausgerichteten Pastoral (wieder) mit ins Boot holen, geht das nur über Beteiligung. Und das ist dann auch das Stichwort, das sich wie ein roter Faden durch die gesamte Veranstaltung zieht und für die meisten Teilnehmer die eigentliche Motivation ist, diesen Prozess engagiert zu begleiten oder eben aktiv mitzugestalten. Ausdrücklich dankt Woelki allen, die sich "längst von den angestammten Ufern aufgemacht haben und mit Glaube, Hoffnung, Liebe, aber auch Kreativität und Mut das Leben in den Gemeinden gestalten und Neues wagen". Doch dabei müsse stets an Jesus Christus Maß genommen werden, er schenke den Orientierungssinn für das, was im Alltag zu tun sei. "Er lädt uns ein, eine österliche Kirche zu sein, die sich die Erfahrung der vollen Netze zutraut", sagt der Erzbischof wörtlich und verweist auf das Wichtigste für ihn: die Feier der Eucharistie, "damit der Herr unter uns ist".
"Wir sind längst unterwegs"
Dass mancherorts in der Tat schon vieles aus Eigeninitiative entstanden ist, wird im Gespräch untereinander deutlich. Andreas Würbel, PGR-Vorsitzender in St. Augustin, sein Gremiumskollege Frank Sandgathe und Ortsausschussmitglied Rhaban Schulze Horn berichten beispielsweise von dem Projekt "LebensRaum Kirche e. V.", das sie vor einem Jahr als ein citypastorales Angebot und in Kooperation zwischen dem Kirchengemeindeverband und der evangelischen Kirche gestemmt haben. In dem großen städtischen Einkaufszentrum HUMA haben sie eine pastorale Anlaufstelle für Menschen eingerichtet. Es sei kein klassischer Gebetsraum, eher ein niederschwelliges, von Ehrenamtlern betreutes Angebot mit der Idee, während des Shoppens die Gelegenheit zu einem inspirierenden Gespräch, zu stärkenden Impulsen oder auch nur zum Ausruhen bei einer Tasse Tee zu bieten. 120 Menschen im Monat frequentieren mittlerweile diese Einrichtung. "Ein großer Erfolg", findet Sandgathe und dass man daher auch mit gesundem Selbstbewusstsein ein solches Regionalforum besuche. "Wir brauchen eine solche Veranstaltung nicht, um angeschoben zu werden", stellt er klar. "Wir sind längst unterwegs."
"Eigentlich sollte bei uns just an diesem Tag ein PGR-Klausurtag zum Thema ‚Pastoraler Zukunftsweg’ stattfinden", erklärt Würbel. Nun sei zufällig zeitgleich die Einladung des Kardinals eingegangen, so dass er kurzerhand umdisponiert habe und sie nun zu acht PGR-Vertretern in Euskirchen teilnähmen, um zu erfahren, "wohin das Bistum will und was das für uns zu Hause bedeutet". Außerdem erhoffe er sich Impulse, "wie wir für die Kirche am Ort weiterdenken können". Das bedeute, den Pastoralen Zukunftsweg für die eigenen Rahmenbedingungen herunterzubrechen. Um möglichst viele Informationen zu sammeln, nimmt jeder daher an einem anderen der thematisch unterschiedlichen Workshops teil. "Wir suchen nach Motivation, Unterstützung und Richtungsweisung." Das aber sei keine Einbahnstraße, ergänzt Rhaban Schulze Horn nicht ohne Stolz: "Wir können – auch umgekehrt – etwas in diesen Weg einbringen: nämlich ‚LebensRaum Kirche’ als ein Best practice-Beispiel."
"Der Glaube ist ein Beziehungsgeschehen"
"Mich interessiert, als Teil der Kirche mit dabei zu sein und zu erleben, was in den Leuten vor sich geht", umschreibt Pater Daniel Egervári von den Legionären Christi aus Bad Münstereifel seine Neugier und Motivation, am Regionalforum teilzunehmen. Ihm reiche nicht, was die Medien dazu berichteten. "Wenn wir die Kirche mitgestalten wollen, ist das hier eine Möglichkeit", findet er. Wer das Ziel einer lebendigen frohen Kirche mit Jesus Christus im Zentrum verfolge, dürfe nicht mit verschränkten Armen dasitzen und nur Kritik üben. Echtes Interesse bringt auch Sabine Schulz, KV-Mitglied aus St. Augustin, mit. "Vieles liest sich gut und ist transparent", kommentiert sie den Austausch über die Zielskizze, "das lässt viele Gestaltungsräume zu; ich hoffe, dass wir sie nutzen." Denn immerhin gehe es ja auch darum, einen Schatz zu entdecken und ans Licht zu bringen, um Zukunft gemeinsam zu gestalten. Sie sieht da "ein großes Potenzial". Doch der Glaube lebe nun mal von den Menschen und sei ein Beziehungsgeschehen. "Je mehr daher Beziehungen gelingen, desto größer ist die Chance, Wandlungsprozesse in Einheit mit Gott und dem Nächsten gut hinzubekommen." Denn eine größere Aufmerksamkeit für andere, Anerkennung und Respekt entwickelten sich am Ende zu einem Vertrauen, mit dem dann sehr viel gehe. Sie bewertet positiv, dass sich so viele Menschen in den Prozess einbringen. "Wenn wir über das ‚weiter so’ hinauskommen, erreichen wir eine gute Balance zwischen bewahren und Neues entdecken", zeigt sie sich zuversichtlich.
Es gilt, das Gute zu bewahren
Eine verlässliche Ausgewogenheit zwischen Tradition und Aufbruch und was man an Eigenem zum Zukunftsweg beitragen kann, beschäftigt auch Sophie Frank aus Ruppichteroth und Maria Gatzweiler aus Zülpich. Die beiden Freundinnen, 19 und 21 Jahre alt, kennen sich aus der Petrus-Bruderschaft und sind heute in der geistlichen Gemeinschaft "Regnum Christi" aktiv. Sie sorgen sich, dass zunehmend "das Neuere und damit Bequemere vertreten wird". Dabei gebe es doch so viel Gutes, "das sollte man bewahren", sagen sie. Zum Beispiel im Hinblick auf die Sakramente. "Sie sollten mehr als Schatz in den Vordergrund gestellt werden", betont Maria. Auch der Sonntagsgottesdienst sei für sie keine lästige Pflicht, erklärt die Studentin in Abgrenzung zum Mainstream. "Glaube ist Beziehung zu Gott. Darum geht es doch – und nicht darum, nur ein Regelwerk zu erfüllen." Auch das Machtdenken, das sich ihrer Meinung nach hinter "Maria 2.0" verberge, findet sie fragwürdig. "Bei der Botschaft Jesu geht es nicht um Macht, sondern darum, dem anderen zu dienen."
"Wir brauchen einen Kulturwandel"
Kirche von heute ins Morgen denken, wie Vera Krause von der "Diözesanstelle Pastoraler Zukunftsweg" formuliert, ist einer der Kernsätze, die bei der eingehenden Vorstellung der Zielskizze 2030 haften bleiben. Und immer wieder auch Appelle wie "Ihre Meinung ist uns wichtig! Werden Sie zu Multiplikatoren in Ihren Gremien und Verbänden!" oder "Wir brauchen einen Kulturwandel!" und "Nur gemeinsam gelingt Veränderung". Was schließlich die Mitarbeiter der fünf Arbeitsfelder schildern, die sich als Schwerpunkte aus monatelangen Auswertungen von Gesprächen und Befragungen herauskristallisiert haben, lässt auf eine große Ernsthaftigkeit schließen, mit der sich Menschen im gesamten Bistum Gedanken um die Zukunftsfähigkeit ihrer Kirche machen. "Es war berührend", so die Bilanz von Kristell Köhler, Referentin für Glaubenskommunikation, "wie konstruktiv bei dieser intensiven Arbeit in den unterschiedlichen Gruppen miteinander gerungen wurde. Im Dialog haben wir – selbst bei unterschiedlicher Meinung – trotzdem auch Verständnis füreinander entwickelt." Einmal mehr habe sich gezeigt, dass das Hauptamt das Ehrenamt brauche. Das ist eine der wesentlichen Erkenntnisse, die Pastoralreferentin Lisa Brentano nach diesen Erhebungen für sich verbucht.
Und dann wird es bei den komplexen Informationen zu einem Prozess, der auf die kommenden Jahre angelegt ist, zwischendurch auch immer wieder grundsätzlich. "Mir war von Anfang an wichtig", wendet sich Kardinal Woelki an die vielen Menschen in der Euskirchener Bürgerhalle, "mit Ihnen gemeinsam diesen Weg zu gehen." Und er bringt angesichts der anstehenden Veränderungen noch einmal sein Herzensanliegen zum Ausdruck, nämlich "überall da, wo wir leben und arbeiten, die Menschen mit Jesus Christus in Kontakt zu bringen. Denn wir wollen innerlich und äußerlich wachsen." So ähnlich sagt es auch Generalvikar Hofmann: "Dass Christus groß wird – das ist das Entscheidende."