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"Vertraut den neuen Wegen, auf die der Herr uns weist…Weil Leben heißt: sich regen, weil Leben wandern heißt." Noch bevor es an diesem Samstag in der "XPost", einer Eventlocation hinter dem Agnes-Viertel mit einer weitläufigen Tagungshalle für bis zu 500 Gästen, richtig losgeht, vergewissert sich Kantor Matthias Bartsch sicherheitshalber noch einmal bei einer Ansingprobe wenige Minuten vor Gottesdienstbeginn, dass einem Großteil der Veranstaltungsteilnehmer dieses neue geistliche Lied auch bekannt ist und sie beherzt einstimmen können, wenn gleich die Messfeier mit Rainer Maria Kardinal Woelki beginnt. Schließlich ist das ihr Programm für diesen Tag, aber ganz klar auch für die kommenden Jahre: auf neue Wege vertrauen, auf Veränderung – letztlich auf einen Haltungs- und Kulturwandel in der Kölner Kirche, wie es Generalvikar Dr. Markus Hofmann später nennen wird.
Denn in der Tat wird vieles in zehn Jahren nicht mehr so sein, wie es sich heute noch darstellt. Das bedeutet Aufbruch und die Zeichen der Zeit im Licht des Evangeliums zu deuten. Auch das wird im Verlauf dieses über den ganzen Tag angelegten Arbeitstreffens zwischen Bistumsleitung und Basis später wörtlich so gesagt. Denn inhaltlich geht es bei dem ersten der insgesamt drei Regionalforen um Austausch und Diskussion über die aktuelle Etappe des Pastoralen Zukunftsweges: konkret um die Inhalte der Zielskizze 2030, die das Ergebnis von Überlegungen aus fünf Arbeitsteams sind, die sich in den vergangenen Monaten – unter Beteiligung von insgesamt etwa 10.000 Menschen an zahlreichen Gesprächen, Auswertungen und Erhebungen – mit der Situation im Erzbistum Köln befasst haben. An diesem Tag nun ist es eine kleinere Auswahl an Aktiven, die sich eingefunden haben. Doch jeder, der wollte und sich dazu angemeldet hat, darf mitreden und seine Ideen und Vorstellungen von einer zukunftsfähigen Kirche, in der dem Einzelnen absehbar mehr Verantwortung und größere Chancen auf Mitgestaltung zugesprochen werden sollen, in die große Gruppe einbringen. Das war und ist der ausdrückliche Wille der Verantwortlichen, denen es um die Beteiligung aller geht und darum, von möglichst vielen zu hören, wie Pastoral noch näher an den Menschen ausgerichtet werden kann.
Neugierig auf den zukünftigen Weg der Kirche
Meike Maria Domsel versteht diese Einladung als Chance. Die Religionslehrerin aus Bonn, die gerade an der Hochschule der Steyler Missionare in Theologie promoviert hat, erhofft sich von diesem Forum eine Stärkung, um ihren Schülern, die sie weitgehend als religiös sprachunfähig und mit großen Vorurteilen gegenüber Kirche erlebt, besser noch Rede und Antwort stehen zu können. Sie ist davon überzeugt, dass der Glaube nicht nur für Insider relevant ist, sondern vor allem auch nach außen getragen werden muss. "Wie kann ich es erreichen, Kirche für die Jugendlichen attraktiver zu machen?" Diese Frage und damit verbunden die Besinnung auf die Wesensmerkmale von Kirche – barmherzig zu sein und eine überzeugende Willkommenskultur zu leben – beschäftigt die 41-Jährige an diesem Tag, aber auch darüber hinaus sehr grundsätzlich. Thomas Bruns, Pastoralreferent in der Schulpastoral, will indes genau hören, in welcher Form bei diesem Austausch die Kategorialseelsorge vorkommt. "Für mich ist das wichtig, weil davon Orte in der Gesellschaft betroffen sind, die außerhalb des Kirchturmradius liegen." Konkret meint er damit die öffentlichen Schulen, "wo wir als Kirche lediglich Gaststatus besitzen", wie er sagt. Ihm geht es darum, auch an Orten, für die die kategoriale Seelsorge zuständig ist, Räume der Gottesbegegnung zu ermöglichen. "Dort müssen wir als Kirche präsent sein", fordert der Theologe mit Nachdruck.
Sven Willkomm gehört zur Leiterrunde der Dommessdiener. Der 23-Jährige ist aus reiner Neugierde gekommen: "Mich interessiert, wie die Zukunft der Kölner Kirche aussehen und gestaltet werden kann." Marianne Becker, die sich spirituell in St. Pantaleon beheimatet fühlt, hat in verschiedenen Projektgruppen des Sendungsraums Köln-Mitte mitgearbeitet. Sie ist "mit Besorgnis und Hoffnung für die Kirche von Köln, vor allem aber auch mit großem Interesse, wie es demnächst weitergeht" der Aufforderung des Kölner Erzbischofs, bei diesem Regionalforum mitzumachen, gefolgt. Sich an diesem lang angelegten Prozess aktiv zu beteiligen ist für Christine Wurth aus Bergisch Gladbach die Triebfeder zur Teilnahme. "Ich finde den Pastoralen Zukunftsweg insgesamt spannend", sagt das PGR-Mitglied der Pfarrei St. Joseph und St. Antonius. Dabei bewegten sie viele unterschiedliche Themen, darunter Überlegungen zu neuen Formen von Leitungsgremien. "Ich bin hier, um zu sehen, was wir selbst tun können, um unsere Kirche zum Positiven zu verändern, und hoffe auf konkrete Ergebnisse am Ende des Tages."
Jeder Beitrag soll gehört werden
"Relativ erwartungsfrei" ist Annette Robels aus der Kölner Gemeinde am Südkreuz in das denkmalgeschützte Eventloft am Gladbacher Wall gekommen. Sie bezeichnet sich als "gemäßigt progressive Katholikin" und findet es spannend, sich mit Menschen zu unterhalten, die mal ganz anders denken als sie. Hier treffe sie andere Kreise als sonst üblicherweise in der Gemeinde oder mit ihren Freundinnen, die für die Initiative "Maria 2.0" seien. Die engagierte Ehrenamtlerin und Mutter von zwei Kindern, die in ihrer Marienburger Gemeinde als Lektorin, Taufkatechetin und geistliche Begleiterin aktiv ist, macht sich dafür stark, dass nicht an den Kinder und Jugendlichen gespart wird. "Wir dürfen doch unsere Zukunft nicht aus den Augen verlieren und insgesamt nicht so selbstzufrieden sein", merkt sie kritisch an.
Wie unterschiedlich die Beweggründe sind, diesen warmen Spätsommertag mit klar definierter Zielvorgabe als Arbeitstag zu investieren – nämlich um sich zu der Zielskizze zu äußern, Verständnisfragen zu stellen oder Chancen und Risiken zu formulieren – zeigen die vielen engagierten Wortmeldungen aus dem Plenum, die von einem Expertenteam auf dem Podium – unter ihnen Generalvikar Hofmann, Kreisdechant Norbert Hörter, Pfarrer Franz Meurer und Unternehmensberaterin Dr. Mechthild König – beantwortet werden. Und die auch dann nicht gestoppt werden, als längst der Gong zum Mittagessen schlägt. Im Gegenteil: Jeden Beitrag anhören, jeden Teilnehmer mit seinem Anliegen ernst nehmen – das hatte der Kardinal vorab versprochen. Und dazu steht er nun auch, selbst wenn der Zeitplan jetzt ein wenig durcheinander gerät und der Erzbischof höchst persönlich in die Moderation eingreifen muss, um sein Versprechen einzulösen.
Ein Weitermachen wie bisher geht nicht mehr
"Ich bin dankbar, dass Sie alle da sind“, hatte er bei der Begrüßung formuliert, "dass Sie sich einen ganzen Tag dafür frei nehmen und wir gemeinsam an einem Zielbild arbeiten." Veränderung gehe nur gemeinsam. "Wir sind heute hier, weil wir Christus entdeckt haben als Mitte unseres Lebens und weil wir für ihn hinausgehen wollen in die Welt, damit das Leben vieler Menschen hell und heil werden möge." Er sei zuversichtlich, so Woelki, dass dieser Tag und die beiden folgenden Regionalforen in Euskirchen und Düsseldorf Teil eines guten Weges seien. "Ich bin mir deshalb so sicher, weil ich davon überzeugt bin, dass wir nicht alleine unterwegs sind, sondern dass der Herr mitten unter uns ist." Die vielerorts als Krise erlebte kirchliche Situation führe dazu, dass ein "Weitermachen, wie wir es gewohnt sind", nicht gehe, sondern es gelte, pastorales Neuland zu betreten. Christus tiefer zu erkennen sei dabei der Quellpunkt für alle weiteren praktischen Überlegungen. Die Gestaltung der Zukunft erfordere es, aufzubrechen und den Alltag vom Glauben durchdringen zu lassen. Und dass es ihm dabei vorrangig um einen gemeinsamen Weg geht, an dessen Ziel eine lebendige und in vielen kleinen flexiblen Einheiten wachsende Kirche steht – auch daran lässt Woelki keinen Zweifel.
Gemeinde als Ort, wo demnächst die Musik spielt
Noch seien keine Entscheidungen getroffen, es handele sich lediglich um eine Skizze, einen vorläufigen und daher noch unvollkommenen Entwurf einer möglichen Perspektive, betont immer wieder Generalvikar Hofmannn. Konkreter und, was die Auseinandersetzung angeht, auch intensiver noch geht es dann in den über 20 Arbeitsgruppen am Nachmittag zu: Nicht nur die Glaubensweitergabe an die nächste Generation, sondern auch das gelingende Gespräch über den Glauben vor allem mit jungen Menschen wie überhaupt das Thema "lebensnahe Kommunikation und verständliche Sprache in der Kirche" bewegt viele. Persönliche Kontakte werden bei Erfahrbarkeit von Kirche immer eine große Rolle spielen und nicht Verordnungen von oben – gewissermaßen über die Köpfe der Menschen hinweg – auch eine solche Selbstverständlichkeit wird ausgesprochen. Das gewohnte Bild von Pfarrei und Gemeinde wird sich wandeln und dabei strukturelle Fragen aufwerfen. Trotzdem, flicht Kreisdechant Norbert Hörter ein, wird Gemeinde demnächst der Ort sein, wo die Musik spielt – wobei der Gemeindebegriff erweitert werden soll und auch eine Schule, ein Krankenhaus oder ein Gefängnis damit gemeint sein können, wenn es sich um Orte kirchlichen Lebens handelt.
Eigene Foren zu Rolle der Frau, Ökumene und Missbrauch
Dass die sonntägliche Eucharistiefeier auch in Zukunft ein unverzichtbarer Anker für die Menschen sein soll, aber dennoch über deren Qualität und Attraktivität nachgedacht werden dürfe und insgesamt die liturgische Vielfalt vergrößert werden solle, stellt der Generalvikar in Aussicht. Die Vorbereitung der Sakramente soll stärker an den Bedürfnissen der Menschen und die Katechese grundsätzlich lebensbegleitend ausgerichtet werden. Auch beim diakonische Engagement der Kirche, so heißt es, sei noch Luft nach oben. Die Kindertagesstätten sollen pastorale Zentren bleiben, auch wenn aus verwaltungstechnischen Gründen die Trägerschaft wechselt, was als Entlastung verstanden werden soll. Wie weit gehen demnächst die Kompetenzen von Ehrenamtlichen, die zur Übernahme von Gemeindeleitung angemessen qualifiziert werden? Und wie werden Jugendliche und junge Erwachsene berücksichtigt, die mit ihren Fragen die Kirche als möglichen Gesprächspartner oft gar nicht im Blick haben? Auch das gehört zum komplexen Themenspektrum. Positiv vermerkt wird das durchgängig an der Glaubensvertiefung orientierte Profil der Zielskizze – noch vor allen strukturellen oder materiellen Fragen. Auch die aktuellen Themen "Rolle der Frau in der Kirche", Ökumene und Missbrauch kommen zur Sprache; hierzu wird es im kommenden Jahr eigene Foren geben, kündigt Hofmann an.
"Es gibt viel Gestaltungsspielraum"
"Heute sind wir an einer wichtigen Wegmarkierung des Pastoralen Zukunftswegs angekommen", stellt er fest. "Wir brauchen Veränderung und eine ungefähre Richtung; sonst bewegen wir uns im Kreis. Dabei geht es nicht nur um Sachfragen, sondern auch um viele persönliche, emotionale Punkte. Denn bei der Kirche geht es für viele um Heimat und damit ums Ganze." Und er macht unmissverständlich klar: Schon jetzt existiere viel Zukunftsfähiges und Gutes, auf dem aufgebaut werden könne. "Wir wollen von der Gemeinde her denken und dabei aufs Bistum schauen, die Kirche aber nicht neu erfinden." Trotzdem gebe es bei allen Überlegungen viel Gestaltungsspielraum. Doch eines steht bei diesem ersten Regionalforum unumstößlich fest. Die Kölner Kirche, so bringt es Hofmann auf den Punkt, wolle noch näher an den Menschen sein. "Wir wollen Kirche im Heute sein."
Beatrice Tomasetti (DR)