Was ein Theologieprofessor und Missbrauchsopfer von der Kirche fordert

Wo bleibt die kirchenrechtliche Gleichstellung?

Nun sind die Zahlen zum Missbrauch in der katholischen Kirche offiziell. Die deutschen Bischöfe reagieren bestürzt. Aber wie geht ein Theologieprofessor und selbst Missbrauchsopfer mit den Studienergebnissen und Bischofsworten um?

Ordensfrauen und Bischöfe / © Harald Oppitz (KNA)
Ordensfrauen und Bischöfe / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Sie sind selbst als Junge an einer katholischen Ordensschule missbraucht worden. Mit was für Gefühlen haben Sie die Debatte und auch die Vorstellung der Studie verfolgt?

Prof. Wolfgang Treitler (Professor für Fundamentaltheologie in Wien): Die Vorstellung der Studie habe ich schon sehr eingehend verfolgt. Ich muss aber auch dazusagen, dass ich sie mit einiger Distanz verfolgt habe, weil diese Geschichten doch einerseits relativ weit zurückliegen und ich andererseits versuche, in diese Sache nicht mehr ganz hinein zu kommen. Es werden da einfach alte Belastungen wach, die man spürt und an die man auch irgendwie weiterhin gebunden bleibt, mit denen man auch schweren Umgang hat.

Wichtig ist für mich, dass man das Thema heute anspricht, dass es präsent ist. Entscheidend ist für mich nicht, wer sich wofür entschuldigt, sondern entscheidend ist für mich heute die Frage, was die kirchlichen Repräsentanten, die dazu die Macht und die Möglichkeit haben, aus diesen Ergebnissen für den Weg der katholischen Kirche lernen und wie sie das dann umsetzen.

DOMRADIO.DE: Kardinal Marx hat bei der Vorstellung der Studie schuldbewusst gesagt: "Ich schäme mich". Tut das in den Ohren der Betroffenen erst einmal gut, auch wenn Sie sagen, das Entschuldigen sei nicht das Wichtige?

Treitler: Ich weiß es nicht. Ich kann mit diesen Redewendungen deshalb wenig anfangen, weil ich nicht weiß, was seine persönliche Betroffenheit darin ist.

Wenn mir mein ehemaliger Täter sagen würde, er schämt sich dafür, dann hätte das eine völlig andere Beziehung. Also wenn das jemand über Medien sagt, der mit der Sache ja wahrscheinlich direkt überhaupt nichts zu tun hat, sondern als Repräsentant der Kirche spricht, dann ist das eine Form der Rhetorik, die mir eigentlich nicht zusagt und die mir auch nichts sagt.

DOMRADIO.DE: Kardinal Marx hat weiter betont, es gehe hier nicht um die Rettung einer Institution, sondern darum, den Opfern Gerechtigkeit zu geben. Nehmen Sie ihm das ab?

Treitler: Ich nehme ihm das ab. Ich nehme das genauso auch Papst Franziskus ab und sehe da eine Linie. Die Gerechtigkeit für die Opfer besteht meiner Auffassung nach vorwiegend darin, nicht am Vergangenen herum zu werkeln. Das kann man nicht mehr. Wir haben das alle in den Knochen und im Fleisch.

Vielmehr besteht die Gerechtigkeit darin, dass man wirklich mutig, offen und auch offensiv die kirchlichen Strukturen so verändert, dass eine andere Mentalität entsteht, die solche Formen der Gewaltanwendung, des Missbrauchs und der Ausbeutung von Menschen schlichtweg grundsätzlich nicht mehr zulassen wird.

Dass das in Individualfällen immer noch passieren kann, ist eine andere Frage. Wenn das institutionell nicht mehr gedeckt und auch nicht mehr möglich wird - Stichwort Klerikalismus -, dann ist es das, was uns im Sinne der Betroffenen auch Gerechtigkeit widerfahren lässt.

DOMRADIO.DE: Das, was Sie jetzt sagen, ist natürlich auch immer wieder schon angeklungen. Da war die Rede von Strukturen, die den Missbrauch begünstigt haben. Was wäre denn in Ihren Augen die dringendste Konsequenz - jetzt auch mit Blick auf diesen vielzitierten Klerikalismus -, die die Kirche ziehen muss?

Treitler: Für mich sind zwei Punkte wichtig. Das eine ist das Gehorsamsverständnis. Das Gehorsamsverständnis greift bis in das Gewissen hinein und drangsaliert im Grunde auch die, die gehorsamsabhängig agieren müssen. Hier braucht es eine aufrechte, auch evangeliumsgemäße Freiheit aller Akteure.

Die zweite Frage, die damit zusammenhängt, ist die Frage der Lebensform. Es gibt Priester, die gerne zölibatär leben und das auch aufrecht und authentisch tun. Aber ich halte es schon für dringend notwendig, dass man auch im Priesterberuf die Leute offen wählen lässt, zölibatär leben zu wollen oder verheiratet zu sein. Das, glaube ich, kann nicht wirklich die entscheidende Frage bleiben, zum Amt zugelassen zu werden.

DOMRADIO.DE: Wie stehen Sie dazu, unabhängige Stellen von außen in die Aufarbeitung zu holen? Ist das in Ihren Augen dringend geboten?

Treitler: Ich finde das sehr gut, weil es Transparenz schafft. Es gibt dann nicht die Verkettung mit kirchlichen Interessen bis hin zu dogmatischen Fragen, wie man das jetzt auch von gewissen Seiten immer wieder hört, dass die Kirche ja doch eine "societas perfectas" (Anm. d. Red. eine in dem Sinn autarke oder unabhängige Gemeinschaft) sei.

Vor allem radikal-katholische Plattformen machen das jetzt wieder geltend, auch gegen den Papst. Das ist eine Frage der Transparenz.

Das ist auch eine Frage der Wahrheit, die sich die Kirche selbst schuldig ist. Wenn Wahrheit gemacht werden soll, dann kann man das durchaus auch unter Einbeziehung anderer Leute machen. Das hat dann auch ein wesentlich besseres und authentisches Gesicht nach außen hin.

DOMRADIO.DE: Sie haben gerade die Rolle des Priesterseins oder die Lebensform von Priestern angesprochen, die man dringend nochmal überdenken müsste. Wie blicken Sie auf diese Männerkirche? Frauen kommen ja nach wie vor in Führungspositionen kaum vor. Welche Rolle spielt das in Ihren Augen?

Treitler: Das ist für mich auch eine wichtige Frage, dass es hier zu einer kirchenrechtlichen Gleichstellung kommt. Darauf können wir ja auch biblischerseits zurückgreifen. Der Mensch wurde nicht als Mann geschaffen und dann kam irgendwie die Frau nach, sondern in Genesis 26-28 steht ganz klar, dass Frau und Mann gemeinsam das Ebenbild Gottes sind.

Und das müsste man doch auch in der Kirche Gottes institutionell repräsentieren können. Ich sehe überhaupt keinen biblischen oder theologischen Vorbehalt dagegen.

DOMRADIO.DE: Die von den deutschen Bischöfen in Auftrag gegebene Studie, der Bericht von Pittsburgh vor kurzem: Missbrauchsskandale erschüttern die katholische Kirche rund um den Globus weiterhin. Ist es da überhaupt möglich, Vertrauen zurückzugewinnen?

Treitler: Ich glaube ja. Man kann Vertrauen zurückgewinnen, indem man wirklich einen Schnitt setzt und offensiv Akte der Umgestaltung setzt. Es geht nicht um Behauptung von vergangenen Traditionen, sondern es geht schlichtweg um eine offene Zeitgerechtigkeit der Kirche. Ich sage nicht Zeitgemäßheit.

Man braucht nicht modisch sein, sondern zeitgerecht in dem Sinne, was die Zeit, von - ich sage jetzt bewusst - auch unserer katholischen Kirche verlangt. Da sind wir noch lange nicht dort, dass überhaupt gesehen zu haben, geschweige denn beginnen, es umzusetzen.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Quelle:
DR
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