Evangelischer Theologe Anselm für Trisomie-Bluttest als Kassenleistung

"Wir sind Realisten"

Der Bundestag diskutiert am Donnerstag darüber, ob Krankenkassen den Bluttest zur Früherkennung von Trisomie 21 zahlen sollten. Die Evangelische Kirche befürwortet das: nur so könne man auch die Beratung ausweiten.

Trisomie-Bluttest (dpa)
Trisomie-Bluttest / ( dpa )

DOMRADIO.DE: Professor Anselm, als Vorsitzender der Kammer für Öffentliche Verantwortung der EKD haben Sie gemeinsam mit Kollegen ein Positionspapier für die Evangelische Kirche formuliert, in dem Sie sich unter bestimmten Bedingungen für eine Kostenübernahme dieser Bluttests durch die Krankenkassen aussprechen. Warum?

Prof. Reiner Anselm (Professor für Systematische Theologie und Ethik an der Ludwig-Maximilians-Universität in München): Weil diese Tests bereits existieren. Es geht nicht um die Zulassung, sondern sie sind am Markt, sie werden verwendet und das war für unsere Überlegungen zentral. Wir sähen diese Verwendung gerne eingebettet in einen gesellschaftlichen Kontext, in dem die Vor- und Nachteile diskutiert werden und wir wollen die betroffenen Frauen und Paare mit ins Boot zu holen.

Daher sprechen wir uns für eine umfassende ethische Beratung aus. Wir betrachten das Gesamtpaket. Das bedeutet aber auch, dass die entsprechenden Beratungskapazitäten ausgebaut werden müssen.

DOMRADIO.DE: Beratungsangebote gibt es jetzt schon. Ist es nicht ein bisschen realitätsfern, zu sagen: wenn wir die Beratung ausbauen, entscheiden sich mehr werdende Eltern für ein Kind mit Behinderung? Derzeit werden Schätzungen zufolge neun von zehn Kindern mit der vorgeburtlichen Diagnose "Down-Syndrom" abgetrieben.

Anselm: Ich würde andersherum fragen: Ist es nicht realitätsfern zu glauben, wenn die Kassen die Test nicht bezahlen und wir nicht versuchen, mit den Frauen und Paaren ins Gespräch zu kommen, würden die Abbrecherquoten sinken?

Wir wissen alle um diese Probleme und wir suchen nach Wegen, wie wir betroffene Paare so erreichen können, dass sie ihre Meinung unter Umständen noch mal überdenken. Denn nochmal: Wir haben sowohl die nicht invasiven Tests [Anm. der Redaktion: die Bluttests] als auch die invasiven Formen [Anm. der Redaktion: die mit Risiken verbundene Fruchtwasseruntersuchung] der Pränataldiagnostik auf dem Markt und die werden eingesetzt. Wenn wir nicht das System ändern, ist das kein ethisch verantwortbarer Weg, um die Probleme, die wir durchaus sehen, adäquat anzupacken.

DOMRADIO.DE: Könnte der Test dann irgendwann zur Routineuntersuchung werden?

Anselm: Wir sind Realisten, keine Utopisten. Wir sehen als evangelische Kirche, dass wir uns in diese Richtung bewegen und empfinden das auch als problematisch. Für uns gilt die Frage: Wie können wir aus dieser Situation herauskommen? Aus der Debatte um Schwangerschaftsabbrüche haben wir gelernt: Wir können es nur, wenn wir die betroffenen Frauen und Paare mit ins Boot holen können. Veränderungen im Verhalten können wir nur miteinander erreichen.

DOMRADIO.DE: Aber kommen wir dann vielleicht irgendwann an den Punkt, an dem sich Eltern rechtfertigen müssen, weil sie sich trotz Diagnose Down-Syndrom für ihr Kind entschieden haben?

Anselm: Auch da gilt: Wir sind Realisten. Wir hätten gerne eine andere Welt, aber die haben wir nicht. Uns kommt es darauf an, relevante Veränderungen zu erreichen und keine Symbolpolitik zu betreiben. Wohlhabendere Familien können sich so einen Test jetzt schon ohne weiteres leisten, Ärmere müssen auf die Fruchtwasseruntersuchung ausweichen, die jetzt schon von den Krankenkassen bezahlt wird, obwohl sie deutlich riskanter für das Ungeborene ist. Das halten wir für hochproblematisch. Wir möchten auf eine intensivere gesellschaftliche Debatte hinarbeiten und das geht nicht, wenn wir die Betroffenen nicht erreichen.

Und ich persönlich möchte diese Fragen auch nicht dem Markt überlassen. Wenn Sie sich die Seiten der Test-Anbieter schauen, wird das dort alles sehr positiv dargestellt, weil wir derzeit eine Marktsituation haben. In dem Moment, in dem wir das in die gesellschaftliche Verantwortung nehmen, entziehen wir diese Fragen den Marktmechanismen und das ist unser zentrales Anliegen im Blick auf die Entscheidung über eine Finanzierung durch die gesetzlichen Krankenkassen.

DOMRADIO.DE: Sie werfen in ihrem Beitrag folgende Frage auf: "Wird hier nicht ein Weg eingeschlagen, der die Solidarität mit nicht perfektem Leben in Frage stellen wird?" Haben Sie eine Antwort auf diese Frage?

Anselm: Nein. Wir werfen diese Frage auf, weil wir das Bewusstsein schärfen möchten. Ob es dazu kommt, ob wir uns vielleicht sogar schon auf diesem Weg befinden, ist ganz schwer zu beurteilen. Die äußeren Fakten sprechen zunächst dagegen. Wir haben in unserer Gesellschaft noch nie ein so großes Engagement für die Belange von Behinderten gehabt. Das muss man auch mal festhalten. Auf der anderen Seite leben wir auch in einer Zeit, in der die Perfektionierung von Elternschaft eine ganz große Rolle spielt. In welche Richtung sich gesellschaftliche Tendenzen entwickeln, muss man sehen. Ich glaube, wir können so etwas nur kritisch begleiten. Über symbolische Politik erreichen wir keine Veränderungen.

DOMRADIO.DE: Sie haben mehrfach gesagt, dass Sie Realitäten anerkennen müssen und nichts wegregulieren oder verbieten können, weil die Welt einfach so ist, wie sie ist. Ist das für Sie als Christ eigentlich eine enttäuschende Einsicht?

Anselm: Natürlich wünschen wir uns manchmal andere Verhältnisse. Aber auf der anderen Seite hat das Christentum die Welt, so wie sie ist, immer vorurteilsfrei anerkannt und als den Ort begriffen, an dem sich Christinnen und Christen zu bewähren haben. Insofern sind Weltflucht oder Negation von Realitäten nicht mit dem christlichen Glauben vereinbar.

Und für mich persönlich und alle, die sich in dieser Frage engagieren, gilt: Wir wollen die gesellschaftliche Debatte in eine bestimmte Richtung - in Richtung auf eine unterstützende, solidarische Geschellschaft - voranbringen und suchen nach Wegen, das möglichst gut und möglichst effizient zu machen. Und das tun wir aus christlicher Überzeugung heraus. Gerade darum habe ich keinen allzu pessimistischen Blick auf die Welt.


Reiner Anselm / © Reiner Anselm (privat)
Reiner Anselm / © Reiner Anselm ( privat )
Quelle:
DR
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