DOMRADIO.DE: An diesem Donnerstag debattiert der Bundestag über die Frage ob der sogenannte "Praena-Test" mit dem Trisomien bei ungeborenen Kindern diagnostizierbar sind, von Krankenkassen bezahlt werden sollte. Die katholische Kirche lehnt sowohl die Tests als auch deren Zahlung durch die Kassen ab. Mit welchem Argument?
Anton Losinger (Weihbischof von Augsburg und langjähriges Mitglied des Deutschen Ethikrates): Mit solchen Tests lassen sich genetische Defekte bei Menschen aufspüren und dies führt dazu, dass bei einem Befund in über 90 Prozent der Fälle das Leben eines embryonalen Menschen beendet wird.
Wir sind in einem Dilemma: Einerseits haben wir in der Genetik mehr diagnostische Möglichkeiten und damit auch therapeutische Möglichkeiten. Das begrüße ich. Aber wir beobachten andererseits auch, dass sich bei der Entdeckung eines genetischen Defekts viele Eltern gegen ein Kind mit Behinderung entscheiden.
DOMRADIO.DE: Aber die Technik existiert bereits und der Bluttest wird genutzt, allerdings nur von denjenigen, die ihn sich leisten können. Befürworter sagen, Diagnostik sollte keine Frage des Geldbeutels sein. Warum spricht sich die katholische Kirche dennoch gegen eine Kassenleistung aus?
Losinger: Es ist ein Standardargument, zu sagen, alles was Menschen in der Wissenschaft erforschen und umsetzen können, werden sie ohnehin tun, egal ob es der Menschenwürde widerspricht oder nicht.
Es gibt diese genetischen Untersuchungen schon und ich halte es für problematisch, dass ein genetischer Defekt als hinreichender Grund für eine Abtreibung gesehen wird. Deswegen sehe ich es kritisch, die Tests als eine Kassenleistung freizugeben, die dann von der Allgemeinheit finanziert würde. Denn dies wäre die Verstärkung des Problems.
DOMRADIO.DE: Welche Entwicklung erwarten Sie, wenn solche Tests zur Kassenleistung würden?
Losinger: Wir werden eine Breitenwirkung haben, in der genetische Tests zunehmend verfeinert werden und das Leben embryonaler Menschen mit einer genetischen Abweichung noch häufiger beendet wird. Und ich befürchte, dass dies auch das Bewusstsein einer Gesellschaft verändert.
Ich frage mich, welches Menschenbild des Menschen mit Behinderung wir generieren, wenn das Auffinden eines genetischen Defekts hinreichender Grund für die Beendigung des pränatalen Lebens ist. Und was meinen wir mit dem Begriff "Inklusion", die eine gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung fordert, während solche Methoden zugleich verhindern, dass immer weniger Menschen mit Behinderung geboren werden?
DOMRADIO.DE: Was bedeutet das für Eltern, die sich trotz der Diagnose für ein Kind mit Behinderung entscheiden?
Losinger: Schon heute werden Eltern behinderter Kinder manchmal gefragt: "Wusstet ihr das nicht vorher? Das ist doch heute nicht mehr nötig!" Ich halte es für ein starkes Signal zu sagen, der Mensch mit seinem Lebensrecht und seiner Würde wird auch dann akzeptiert, gefördert und geliebt, wenn er eine Behinderung mit sich trägt. Der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog sagte einmal: Das humane Antlitz einer Gesellschaft zeigt sich immer daran, wie sie mit den Schwächsten in ihrer Mitte umgeht. Und das trifft auf diese Debatte zu: Wenn in unserer Gesellschaft zunehmend der perfekte Mensch angestrebt wird – was ist dann mit dem Nicht-Perfekten?
DOMRADIO.DE: Aber diese Entwicklungen werden auch nicht dadurch unterbunden, dass man die Bluttests von Kassen nicht bezahlen lässt. Diejenigen, die das wollen, werden so oder so einen Weg finden…
Losinger: Viele wissenschaftliche Erkenntnisse bringen solche Dilemmata mit sich. Ich würde einerseits sagen, eine Gesellschaft muss wissen und wir müssen uns fragen, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Und es gibt für werdende Eltern auch ein Recht auf Nichtwissen und die freie Entscheidung, ein solches Kind anzunehmen.
Und rein praktisch müssen wir sehen, wie wir mit dem imperfekten Menschen umgehen, wenn ringsherum überall nach dem perfekten Menschen gestrebt wird, was ja auch Ziel der genetischen Diagnostik ist.
Dazu muss man wissen, dass derzeit weniger als 20 Prozent aller Behinderungen pränatal sind, d.h. annähernd 80 Prozent werden im Laufe eines Lebens durch Unfälle oder Krankheiten erworben. Hinzu kommen immer mehr Menschen, die im Alter an Demenz erkranken. Das bedeutet, wir alle können irgendwann einmal von Behinderung betroffen sein und wir müssen in verstärktem Umfang damit rechnen, dass Menschen mit Einschränkungen und Behinderungen uns ganz besonders anvertraut sein werden.
DOMRADIO.DE: Sind wir auf dem Weg zur Selektion?
Losinger: Wenn diese Vision, die mit den Bluttests gestartet ist, Flügel bekommt, dann werden wir tatsächlich ein selektives Instrument in der Hand haben. Denn wer sich auf der Homepage der Unternehmen, die solche Tests anbieten, umsieht, wird feststellen, dass schon heute nicht nur die berühmten Trisomien diagnostiziert werden können, sondern inzwischen mehr als zehn genetische Merkmale. Darunter interessanterweise auch das Geschlecht. Und da frage ich: was passiert, wenn die Feststellung des Geschlechts ein Standardmerkmal eines solchen Tests wird? Was passiert dann in Gesellschaften wie etwa China und Indien, in denen Jungen bevorzugt werden? Werden Mädchen dann abgetrieben?
Das Interview führte Ina Rottscheidt.