Was steckt dahinter?
DOMRADIO.DE: In der Kölner katholischen Pfarrgemeinde St. Agnes hängt ein sehr ungewöhnliches Hungertuch. Darauf zu sehen sind Porträts von Menschen aus Köln. Es sind Juden, Muslime, Christen, bekannte und weniger bekannte Gesichter.
Das ist der Hintergrund, um mittels einer Podiumsdiskussion zu klären, ob Säkularität ein Segen für die Religion ist. Wie kommen Sie darauf, dass eine sehr weltliche Gesellschaft ein Segen für die Religion sein könnte und nicht ein Fluch?
Peter Otten (Pastoralreferent in St. Agnes, Köln): Zum einen, weil das in dem Kunstwerk selber angelegt ist. Der Künstler Oscar Stocker hat 64 Menschen aus Köln gemalt und hat sie absichtlich so gemalt, dass keine Äußerlichkeiten von Religion oder Konfession sichtbar sind. Man sieht das reine Antlitz der Menschen. Oscar Stocker ist ein Mensch, der mit Religion wenig zu tun hat. Auf jeden Fall war das in den Vorgesprächen nie ein Thema. Und diesem Menschen vertrauen wir jetzt unsere Kirche an.
Er hat an einer sehr zentralen Stelle eine katholische Tradition wieder aufgegriffen, nämlich ein Hungertuch aufgehängt und im Prinzip damit eine moderne Ikonostase geschaffen. Das heißt, er hat quasi mit den Menschen von heute das Allerheiligste verdeckt. Damit drängen sich die Fragen auf, welche Bedeutung die säkulare Welt hat und welche Bedeutung Menschen wie du und ich haben, um Aussagen über Gott, über das Allerheiligste treffen zu können.
DOMRADIO.DE: Wichtig ist für diese Diskussion, dass Sie Vertreter von drei großen Weltreligionen eingeladen haben. Was wird da diskutiert?
Otten: Uns interessiert natürlich die Frage, ob das eine spleenige Idee von ein paar Katholiken ist oder ob das ein Trend ist, der nicht nur Christinnen und Christen, sondern auch Menschen anderer Religionen genauso betrifft. Das wollen wir herausfinden.
Ich erlebe die Säkularität als großen Segen für meine persönliche Arbeit, weil ich merke, dass das, was mich manchmal spirituell, aber auf jeden Fall fachlich oft in meiner Arbeit weiterbringt, der Kontakt mit säkularen Menschen ist. Also mit Menschen, die nicht in der Institution Kirche sind oder vielleicht nicht mehr ausdrücklich in der Kirche sind. Die beschäftigt aber trotzdem oft die Frage nach dem Sinn des Lebens oder die Frage nach der Transzendenz oder die Frage danach, ob die Welt irgendwie ein gutes Ende nimmt. Es gibt Menschen, die das zum Beispiel in der Kunst oder in der Literatur ausdrücken.
Ich finde, wenn wir Christinnen und Christen mitten in der Stadt sein wollen, dann sollten wir das wahrnehmen.
Im Moment läuft die lit.COLOGNE. Ich war gestern auf einer wunderbaren Veranstaltung zum Thema Inklusion, wo behinderte Kinder Texte von großen Dichtern "re-mixed" haben, also sozusagen für sich neu übersetzt haben. Eine ganz großartige Idee. Also auch auf der lit.COLOGNE werden diese Fragen verhandelt: Warum bin ich auf der Welt? Was sind meine Ausdrücke? Ich finde das total spannend. Es wird höchste Zeit, dass wir als Kirche an diesem Diskurs teilnehmen.
DOMRADIO.DE: Heute ist ja viel die Rede davon, dass man sich nur noch mit Menschen und Meinungen umgibt, die das sagen, was man selber sowieso denkt und glaubt. Hat man dadurch jetzt einen anderen Angang?
Otten: Absolut. Ich merke das an mir selber. Wenn ich mich nicht mehr provozieren lasse, dann werde ich innerlich "unfroh".
Am besten kann ich das an einem anderen Beispiel deutlich machen. In 14 Tagen stellen wir in der Kirche St. Gertrud die Arbeit einer Tänzerin aus Duisburg vor. Wenn wir mit ihr das Programm vorbereiten, dann gehen wir in die Kirche rein und dann sage ich zu ihr: "Das ist jetzt deins. Das können wir dir zur Verfügung stellen. Die Architektur mit allem was sie aussagt, mit all dem, was sie heilig macht. Wir sind total gespannt, was für eine Antwort du darauf gibst." In dieser Spannung erlebe ich persönlich sehr, sehr viel Segen.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.