Aus Furcht vor Pressionen durch das Erdogan-Regime erwägen Anhänger der oppositionellen Gülen-Bewegung den Aufbau eigener Moscheen in Deutschland. Derzeit gebe es eine "interne Diskussion, ob wir hierzulande erste Moscheen in Form von muslimischen Bildungseinrichtungen gründen sollen", sagte der Vorsitzende der "Stiftung Dialog und Bildung", Ercan Karakoyun, der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Düsseldorf. Nach dem jüngsten Militärputsch in der Türkei sei "die Hexenjagd" des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan auch in deutsche Moscheen transportiert worden.
Karakoyun versteht die Dialog-Stiftung als "Ansprechpartner" der Gülen-Bewegung, die sich selbst auch "Hizmet", zu Deutsch "Dienst" oder "Service", nennt. Erdogan beschuldigt den im amerikanischen Exil lebenden Fethullah Gülen, mit seinen Gefolgsleuten die türkischen Polizei- und Justizbehörden unterwandert und den Militärputsch angezettelt zu haben. Gülen bestreitet seine Beteiligung am Putsch stets energisch. Seine schätzungsweise zehn Millionen Anhänger weltweit verfolgten nur religiöse Ziele.
Gefühl von Schikane
Die etwa 150.000 Gülen-Anhänger in Deutschland fühlen sich in den bundesweit über 900 Moscheen des deutsch-türkischen Moscheeverbandes Ditib seit einigen Monaten schikaniert und ausgespäht. "Jeder Imam fungiert derzeit gleichzeitig als Spitzel für die Türkei", sagt Karakoyun. "Wer nicht mitmacht, riskiert seinen Job." Die Ditib ist der türkischen Religionsbehörde Diyanet unterstellt, die die nach Deutschland entsandten Imame bezahlt. "Das sind also türkische Beamte", so der Sprecher der Gülen-nahen Stiftung. Etliche Imame aus Ditib-Moscheen hätten inzwischen ihren Dienst aufgegeben und in Deutschland Asyl beantragt, berichtet Karakoyun. "Sie wollen die Hasskampagne Erdogans nicht mitmachen."
Der Stiftung sind nach deren Angaben Dokumente zugespielt worden, die auf eine systematische Bespitzelung der Gülen-Bewegung durch die Ditib hindeuten. Es gebe eine Aufforderung der Diyanet an die ihr unterstellten Moscheegemeinden, "alle Gülen-nahen Einrichtungen, Personen, Unternehmer und Unterstützer den türkischen Behörden in Form eines Berichts zu melden", so Karakoyun. Wer nichts melde, drohe selbst als potenzieller Gülen-Anhänger von der Ditib suspendiert zu werden.
Fälle von Bedrohung
Auch der nordrhein-westfälischen Landesregierung liegen Erkenntnisse vor, dass die Ditib massiv gegen Gülen-Anhänger vorgeht. Landesweit seien in über 50 Fällen Gewaltandrohungen gegen Einrichtungen und Aktivisten des Hizmet-Netzwerkes registriert worden, berichtete NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD). So habe der Ditib-Imam in Iserlohn auf Facebook dazu aufgefordert, Gülen-Aktivisten der türkischen Regierung zu melden. Im oberbergischen Bergneustadt und Waldbröl sei Anhängern des islamischen Predigers in Ditib-Moscheen der Zugang zum Freitagsgebet verwehrt worden. An der von Ditib betriebenen Sultan-Ahmet-Moschee in Hagen entdeckte die Polizei Plakate mit der Aufschrift "Vaterlandsverräter raus". In der Schwerter Ditib-Moschee wurden Gülen-Sympathisanten als "Volksverräter" bezeichnet.
"Imame beteiligen sich an Denunziations- und Boykottaufrufen", sagt Karakoyun. Seit 2013 sei die Instrumentalisierung durch die AKP und Erdogan in vollem Gange. Seitdem versucht die Gülen-Bewegung mit eigenen Einrichtungen dagegen zu halten. Derzeit gibt es laut Karakoyun bundesweit etwa 300 Vereine, die sich "Hizmet" zugehörig fühlten. Darunter seien 30 Schulen, 150 Nachhilfevereine sowie Dutzende von Unternehmer-, Dialog- und Kulturvereinen, wo zunehmend auch Korankurse angeboten würden.
"Wir wollen einen zivilen Islam, keinen politischen", betont Karakoyun. Dabei ist der 36-Jährige selbst in der deutschen Parteipolitik groß geworden: als stellvertretender Juso-Vorsitzender in Dortmund. Bis heute ist Karakoyun SPD-Mitglied. "Wir wollen keinen Islam, der Gehorsam gegenüber einem Politiker als Pflicht erachtet." Jedenfalls habe er sich geschworen: "Ich betrete keine Ditib-Moschee mehr."