Die Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen ist nach dem Putschversuch in der Türkei schlagartig ins Blickfeld der Weltöffentlichkeit geraten. Ihr wirft Präsident Recep Tayyip Erdogan vor, den Umsturz geplant zu haben, und geht hart gegen ihre Mitglieder und Einrichtungen vor. Auch in Deutschland kam es zu etlichen Übergriffen durch Erdogan-Gefolgsleute.
Aber wofür genau steht die Bewegung mit ihren weltweit 10 Millionen Anhängern, die auch aus Sicht vieler Demokraten nicht unumstritten ist und allein in Deutschland 30 private Schulen und 150 Nachhilfeinstitute unterhält? Das sollte in einer Podiumsdiskussion deutlicher werden, zu der die Fethullahcis am Donnerstagabend in die Volkshochschule Düsseldorf eingeladen hatten. Kontroversen blieben nicht aus.
Bild einer hermetischen Kaderorganisation
Eine geheime Agenda zur Unterwanderung der westlichen Gesellschaft und unter dem Deckmantel eines toleranten Islamverständnisses wird Gülens Bewegung von Kritikern vorgeworfen. ARD-Redakteur Volker Siefert zeichnete in seinem Vortrag das Bild einer hermetischen Kaderorganisation: intransparent nach außen, streng hierarchisch nach innen. "Das Individuum spielt in Gülens Bewegung keine Rolle, sondern hat sich vollkommen unterzuordnen."
Das gelte etwa in den sogenannten Lichthäusern, in denen Studenten zusammenwohnen. Dort herrsche eine starke soziale Kontrolle. Der in den USA lebende Gülen dürfe in der Bewegung weder hinterfragt noch kritisiert werden. Allerdings bekundete Siefert auch seinen Respekt vor der Bildungsarbeit der Fethullahcis.
Hohes Bildungsengagement
Der Bildungsforscher Heiner Barz von der Universität Düsseldorf sieht darin ein großes Potenzial für die Integration. Für ihn ist das Bildungsengagement der Gülen-Anhänger im deutschen Fall eine Art Selbsthilfe-Initiative türkischer Migranten auf dem Weg zum gesellschaftlichen Aufstieg. In den Schulen, die auch Schülern ohne türkischen Hintergrund offenstehen, spiele der Islam keine herausgehobene Rolle.
Die Vielfalt der Gülen-Bewegung - Kritiker würden sagen: ihre Krakenhaftigkeit - bezeichnete Gastgeber Ercan Karakoyun als Ausdruck des starken sozialen Engagements der Fethullahcis. Neben den Bildungseinrichtungen sollen Unternehmerverbände, Dialogvereine und eigene Medien den Geist des Predigers in die jeweilige Gesellschaft tragen.
In Deutschland steht die Bewegung nach seinen Worten für eine "türkische Mittelschicht", die dem Land viel geben könne und wolle. Der Leiter der zur Bewegung gehörenden Stiftung Dialog und Bildung zitierte ein Prophetenwort, das für Gülen zentral sei: "Der beste Mensch unter euch ist derjenige, der den größten Nutzen für seine Mitmenschen bringt."
Karakoyun beteuerte, der etwa 75 Jahre alte Prediger stehe für eine zeitgemäße und tolerante Auslegung des Koran und die interreligiöse Verständigung. In der Tat lassen sich etliche Aussagen Gülens finden, die ihn aus Sicht seiner Fans zu einem "islamischen Gandhi" machen.
Agent einer Scharia im Schafspelz?
Dennoch gilt er den Kritikern als Vertreter eines tief konservativen Islam, ja als Agent einer Scharia im Schafspelz. Karakoyun räumte ein, dass die Bewegung sich verändern müsse. Entscheidungsstrukturen müssten transparenter, das Gülensche Islamverständnis besser vermittelt werden. Zunächst gehe es aber vor dem Hintergrund der Verfolgung in der Türkei um das reine Überleben der eigenen Strukturen.
Ob die Gülen-Bewegung tatsächlich Erdogan als Sündenbock dient, wie die Fethullahcis beteuern, oder womöglich doch in den Putschversuch involviert war, konnte der Abend nicht klären. ARD-Mann Siefert warnte die Bewegung aber vor "Legendenbildung", wenn sie sich als demokratischer Stachel im Fleisch des immer autoritäreren Erdogan-Regimes darstelle.
Staatsfeind Nummer 1 in der Türkei
"Lange Zeit lieferte Gülen der AKP-Regierung die geistige Software, die AKP die Hardware." Erst die Aufdeckung von Regierungskorruption durch Gülen zugehörige Staatsanwälte habe 2013 den Bruch ausgelöst.
Seither gilt Gülen in der Türkei als Staatsfeind Nummer 1. Auch deshalb steht für Karakoyun fest, dass die Fethullahcis ihre Zentrierung auf das Mutterland überwinden müssten. "Wir brauchen die Abnabelung von der Türkei und müssen uns noch mehr für Bio-Deutsche öffnen."