DOMRADIO.DE: Frau Will, die fünfte Jahreszeit ist bekanntlich für Karnevalisten am Aschermittwoch vorbei. Auf Friedhöfen wie Melaten aber kann man ganzjährig Gräber finden, die bewusst mit fröhlichen Gesellen wie Clowns oder karnevalistischen Gardeoffizieren geschmückt sind. Dabei ist doch ein Friedhof der letzte Ort, an dem man den Ausdruck von Frohsinn dieser Art erwarten würde…
Eva-Maria Will (Referentin für Trauerpastoral): Nun könnte man sagen: Wenn nicht in Köln, wo sonst… Aber mal ernst: Viele Menschen haben zunehmend das Bedürfnis, ihre eigene Trauer und ihr Verhältnis zum Verstorbenen sehr individuell zum Ausdruck zu bringen. Vor allem aber auch das, was den Verstorbenen ausgemacht hat.
Dieser Trend lässt sich schon seit längerem beobachten. Der Clown auf einem Grab ist hier eine Personifikation des Karnevals, der ausgelassenen Freude am Leben. Dass dieser Clown an einem Grab steht, zeigt, welche Bedeutung der Karneval im Leben des verstorbenen Menschen gehabt haben muss. Vielleicht war er Mitglied eines Karnevalsvereins, einer Garde oder sogar ein Büttenredner. Oder aber er war das, was man unter einem Lebenskünstler versteht; er liebte es, das Leben von der heiteren Seite zu betrachten, war Optimist und hatte immer den Schalk im Nacken.
Da kann man sich vieles vorstellen. Ich habe auch schon mal erlebt, dass ein noch recht junger Mann in seiner Karnevalsuniform im Sarg lag, weil er im Karneval seine Frau kennengelernt hatte und Karneval für ihn ein wichtiger Teil seines Lebens war. Deshalb ist eine solche Figur an einem Grab mehr als nur Grabschmuck, sie ist auch ein Statement.
DOMRADIO.DE: Was glauben Sie, wofür?
Will: Selbst in Todesanzeigen tauchen gelegentlich Clowns oder auch mal eine Narrenkappe auf. Das ist dann ein Zeichen dafür, dass die Angehörigen das Bedürfnis haben, den Abschied und die eigentliche Bestattung persönlicher zu gestalten. Sie wollen auch in den Worten und Zeichen bei einer Beisetzung ihren Verstorbenen deutlich wiedererkennen: Ja, genau so war er! Er war ein fröhlicher Mensch! Und so wollen wir ihn auch in Erinnerung behalten!
DOMRADIO.DE: Viele Trauernde verharren ja, gerade wenn der Tod plötzlich eingetreten ist, in einer Art Schockzustand. Denken sie dann überhaupt schon so weit, eine Beisetzung mit der persönlichen Handschrift zu versehen? Meist geht es doch erst einmal um die Bewältigung des Naheliegenden und darum, einen solchen Tag irgendwie hinter sich zu bringen…
Will: Das ist richtig. Und da sind wir als Kirche auch sehr gefordert, Hilfestellung zu geben mit allen unseren Angeboten zur Begleitung von Trauernden, zumal es eine unserer Kernaufgaben ist, Trauernde zu trösten. Zum Beispiel mit einem Ritus, der dazu dient, die Hinterbliebenen an die Hand zu nehmen, sie durch diese schwere Zeit hindurchzuführen und ihnen Halt zu geben, wenn der Verstorbene zu Grabe getragen und bestattet wird. Damit sie anschließend ohne ihn in ihrem Leben zurechtkommen können und dieser sogenannte letzte Weg einen guten Abschluss bekommt.
Deshalb akzeptieren übrigens auch viele Menschen, die sich als wenig religiös bezeichnen, ein religiöses Ritual, weil so das Unfassbare und Unsagbare des Todes in die Macht eines Höheren gestellt wird. Außerdem helfen Rituale manchmal mehr als Worte. Die kirchliche Begräbnisfeier bietet hier einen großen Schatz an wertvollen aussagekräftigen Worten, aber auch Zeichen.
DOMRADIO.DE: Solche sprechenden Zeichen gibt es doch auch in unserer Bestattungskultur…
Will: Auf Friedhöfen begegnen uns immer noch vor allem die klassischen christlichen Symbole, wie beispielsweise das Kreuz, die betenden Hände, die Ähre, der Weinstock, ein Palmzweig oder auch die griechischen Buchstaben Alpha und Omega für Anfang und Ende.
Anders als der Grabschmuck – ich denke da an süßlich auf dem Grabstein kauernde Putti, also rundliche Engelchen, Schmetterlinge, Windmühlen oder eben Clowns – sind sie eine Art Glaubensbekenntnis. Jedes dieser Symbole drückt nämlich aus, woran der Verstorbene geglaubt und aus welcher Hoffnung heraus er gelebt hat. Oder seine Hinterbliebenen.
DOMRADIO.DE: Aber auch wer einen Clown auf seiner Grabplatte stehen hat, kann doch ein gläubiger Mensch gewesen sein, oder?
Will: Natürlich. Das eine muss das andere nicht ausschließen. Unsere Welt ist im Vergleich zu früher differenzierter und auch toleranter geworden. Die Hospizbewegung zum Beispiel lehrt uns, dass es auch in der letzten Lebensphase noch sehr heiter zugehen kann, mitunter sogar viel gelacht wird.
Oder nehmen sie die Klinik-Clowns, von denen sich manche sogar auf den Besuch in Hospizen spezialisiert haben. Denn Clowns sind ja nicht nur etwas für Kinder. Auch Erwachsene sind in der Regel dankbar für solche Impulse, die ihnen in der noch verbleibenden Zeit Ablenkung verschaffen oder Freude schenken, selbst wenn sie wissen, dass sie bald sterben müssen.
Mir hat einmal ein Klinik-Clown davon erzählt, wie schwer es ihm mitunter fällt, diese todkranken Menschen zu sehen und dann zu versuchen, sie zum Lachen zu bringen. Diese Aufgabe ist tatsächlich „grenz-wertig“, denn sie spielt mit Grenzen und Übergängen. Ein solcher Clown, der eigens für seinen Einsatz ausgebildet wird, hat eine sehr verantwortungsvolle Funktion.
DOMRADIO.DE: In einer ähnlichen Rolle sind ja Karnevalisten wie das Kölner Dreigestirn, von dem bekannt ist, dass es auch soziale Aufgaben wahrnimmt, wenn regelmäßig Besuche in Krankenhäusern und Hospizen auf seinem Sessionsprogramm stehen…
Will: Auch das ist ein gutes Beispiel für die zwei Gesichter des Karnevals. Denn Karneval findet – richtig verstanden – nicht nur in großen lauten Sitzungssälen statt, sondern eben auch auf Krankenstationen, in Altenheimen und in vielen anderen nicht immer sichtbaren Begegnungen zwischen Menschen, denen es nicht ausschließlich gut geht oder die vor übermütigem Lebensgefühl nur so strotzen.
Lachen und weinen, feiern und sterben – alles gehört zum Leben. Der Karneval zeigt uns, was oft gar nicht bedacht wird, auch diese ernste Seite. Ein gutes Bild dafür ist sicher der Pierrot aus der Comedia dell’ arte, dessen weiß getünchtes melancholisches Gesicht immer eine schwarze Träne kennzeichnet… Diese Figur des kleinen Peterle spiegelt ganz gut diesen vermeintlichen Widerspruch zwischen Fröhlichsein und Traurigkeit.
DOMRADIO.DE: Nochmals nachgefragt: Übermütig gute Laune und Trauer – geht das überhaupt zusammen?
Will: Sicher, auf den ersten Blick offenbart sich da eine große Ambivalenz. Doch dass beides nebeneinander existieren kann, zeigen uns eigentlich am eindrucksvollsten die Kinder, die uns hier gute Lehrmeister sind. Bei ihnen können sich Gemütszustände sekündlich ändern. Weinen und Lachen liegen für sie ganz nah beieinander. Sie sind todtraurig und weinen bittere Tränen. Aber dann drehen sie sich auf dem Absatz um, vergessen ihre Tränen und laufen im selben Moment schon wieder lachend davon.
In der Tat, die Gleichzeitigkeit von beidem zeigt die Ambivalenz des Lebens: Mitten im Leben sind wir vom Tod umgeben! Von dieser kindlichen Haltung können wir viel lernen. Deshalb stellt Jesus ja auch ein Kind in die Mitte und sagt: „Werdet wie die Kinder!“
Und wer hat nicht schon erlebt, wie herzhaft nach einer Beerdigung beim „Leichenschmaus“ gelacht werden kann und mit wie viel Humor eines Verstorbenen gedacht wird, der zu Lebzeiten immer für einen Kalauer gut war. Weinen und Lachen sind Ventile. Das zeigt, dass es heilsam ist, ganz durch die Trauer und den Schmerz hindurchzugehen, um sich dann wieder neu zu sortieren und ohne den verstorbenen Menschen weiterleben zu können.
DOMRADIO.DE: Das hört sich geradezu nach einem Plädoyer für die Notwendigkeit von Karneval für uns Christen an…
Will: Im Karneval feiern wir ausgelassen das Leben. Aber am Aschermittwoch folgt mit dem Aschenkreuz auch ein Schwellen-Ritus. Dieses Kreuz erinnert daran, dass es nicht immer so weitergeht, sondern dass auch alles irgendwann einmal ein Ende hat – nicht nur der Karneval, sondern das Leben überhaupt.
Deshalb werde ich ja auch daran erinnert: „Bedenke, Mensch, dass du Staub bist…“ Dieses „Memento mori“ macht mir meine eigene Vergänglichkeit jedes Jahr neu bewusst: Feiere dankbar und ausgelassen das Leben, aber vergiss nicht, dass dein Leben begrenzt ist. Also handle verantwortlich! Für Christen heißt das: Handle nach dem Willen Gottes!
Wer den Karneval liebt, hat dies im Blick. Ohne das Kirchenjahr gäbe es gar keine „fünfte Jahreszeit“, wie wir Kölner sagen. Karneval und Aschermittwoch – beides zusammen ergibt doch erst einen Sinn!
Das Interview führte Beatrice Tomasetti.