DOMRADIO.DE: Der Tod eines geliebten Menschen bringt uns unweigerlich an unsere eigenen Grenzen, wirft uns aus der Bahn und auf uns selbst zurück. Am Anfang verstehen die Leute um uns herum das ganz gut, aber irgendwann erwartet unsere Umwelt doch irgendwie von uns, dass wir den Verlust so langsam verwunden haben, dass wir wieder anfangen, normal zu ticken. Auch darum geht es in Ihrem Buch "Ein Teil von mir: Meine Trauer umarmen und weiterleben. Für Menschen nach dem ersten Trauerjahr". Sie haben das Buch aus Ihrer persönlichen Erfahrung heraus geschrieben.
Silke Szymura (Trauerbegleiterin und Bloggerin): Ich habe 2013, vor mittlerweile fünfeinhalb Jahren, meinen Lebenspartner, meinen Freund Julian, verloren. Er ist ganz plötzlich gestorben, auf einer gemeinsamen Nepal-Reise. Als ich dann zurück nach Deutschland kam, habe ich selbst erfahren, wie hier in Deutschland mit der Trauer umgegangen oder auch nicht umgegangen wird. Ich bin diesen Weg durch die Trauer gegangen und am anderen Ende auch wieder herausgekommen. Das war für mich der Grund, darüber zu schreiben und das mit anderen zu teilen.
DOMRADIO.DE: Es gibt ja das sogenannte Trauerjahr – das erste Jahr nach dem Verlust. Wie haben Sie das erlebt?
Szymura: Ich habe es als sehr schwer erlebt. Zu Anfang habe ich noch ganz gut funktioniert: Ich kam zurück und habe versucht, so viel wie möglich von meinem alten Leben beizubehalten, zum Beispiel, weiter arbeiten zu gehen. Ich habe auch erst ganz oft gesagt bekommen, wie stark ich bin und wie gut ich damit umgehen kann. Der Zusammenbruch kam bei mir erst ein paar Monate später. Dann wurde es ja nochmal richtig schwer. Ich glaube, das Schwere an dem ersten Trauerjahr ist auch, dass alles zum ersten Mal ohne den Menschen geschieht, der da gestorben ist: Weihnachten, Geburtstage. Ja, das war ganz schön düster. Ich habe mehr existiert als gelebt.
DOMRADIO.DE: Und Sie haben am Ende dieses Jahres auch gesehen: Meine Trauer passt nicht in ein Jahr, die braucht viel mehr Raum. Das geht ja wahrscheinlich ganz vielen so.
Szymura: Ja, das geht sehr vielen so. Gerade nach schweren Verlusten – wobei ein "schwerer Verlust" auch nichts ist, was von außen definiert wird. Es dauert eigentlich meistens länger als ein Jahr. Auch gerade, weil nach diesem ersten Jahr nochmal eine andere Realität kommt. Für mich war das zweite Jahr nochmal anders schwer. Das höre ich auch oft von anderen. Im ersten Jahr war alles noch so surreal und im zweiten Jahr kam auf einmal die Erkenntnis, dass er wirklich nicht wiederkommt. Und wie geht es dann eigentlich weiter im Leben? Also, es dauert für viele länger.
DOMRADIO.DE: "In der Trauer hilft nur trauern" – diesen Satz zitieren Sie in Ihrem Buch. Vielleicht können Sie den nochmal erklären?
Szymura: Es gibt zwar viele Dinge und Menschen, die uns vielleicht unterstützen können. Aber um letztendlich durch die Trauer zu gehen und am anderen Ende wieder rauszukommen, hilft es nur, alle Gefühle zu fühlen, die dazugehören. Das einzige, was wirklich hilft, ist, wenn ich da durchgehe, das ich alles erlebe, es auch zulasse.
DOMRADIO.DE: Sie sagen auch, dass Trauer etwas ganz Persönliches ist, dass jeder das auf seine ganz eigene, individuelle Weise erlebt. Gibt es trotzdem so etwas wie eine Richtschnur für alle Trauernden?
Szymura: Ganz allgemein gilt dieser Satz, über den wir gesprochen haben: "In der Trauer hilft nur trauern." Ich glaube, dass das ganz allgemein gilt. Und dann ist es eben ganz individuell, wie dieses Trauern aussieht und wie die Trauer ausgedrückt wird. Das kann völlig unterschiedlich sein und das kann vielleicht auch von außen fast gar nicht sichtbar sein. Manchmal ist es so, dass Menschen von außen sagen: Der trauert gar nicht richtig. Aber es gibt eben auch kein "richtig" oder "falsch" an der Stelle, sondern es gibt einfach den eigenen Weg. Irgendwie möchte die Trauer gelebt, gefühlt und ausgedrückt werden. Das ist vielleicht die Richtschnur.
DOMRADIO.DE: Sie bieten in Ihrem Buch auch immer wieder Meditationsübungen für Trauernde an. Worauf kommt es denn dabei an?
Szymura: Da geht es mir vor allem darum, dazu einzuladen immer wieder bei sich selbst anzukommen und wirklich im eigenen Körper anzukommen und zu fühlen, was da ist. Denn in unserer Gesellschaft sind wir es so sehr gewohnt, unseren Verstand zu benutzen – und der Verstand ist auch ganz toll. Nur so etwas wie Trauer und Gefühle lassen sich eben nicht über den Verstand lösen. Aus diesem Grund habe ich diese Übungen eingebaut und möchte dazu einladen, tiefer in sich hinein zu sinken und zu schauen und zu spüren: Was ist da? Wer bin ich jetzt? Wie bin ich auf dieser Welt?
DOMRADIO.DE: Auch nach der Zeit der aktiven Trauer bleibt die Trauer ein Teil von uns. Was gibt uns diese Trauer denn für das weitere Leben?
Szymura: Die Trauer ist eine Begleiterin. Für mich persönlich kann ich sagen, dass die Trauer selbst weiter da ist. Aber es ist nicht unbedingt die Trauer um Julians Tod, sondern das ist ganz allgemein die Akzeptanz dessen, dass ich mir erlaube, zu trauern und zu fühlen, was da ist und mich dem auch hinzugeben. Das bedeutet es für mich.
Das Interview führte Hilde Regeniter.