Studentenproteste in Südafrika eskalieren

Polizei greift "Zufluchtsort" Kirche an

Brennende Gebäude und bewaffnete Polizisten: In Südafrika eskalieren Proteste gegen soziale Missstände immer weiter. Die Brandstifter: Studenten. Eine Kirche wird zum Schauplatz heftiger Auseinandersetzungen.

Autor/in:
Markus Schönherr
Studentenproteste in Südafrika / © Kim Ludbrook (dpa)
Studentenproteste in Südafrika / © Kim Ludbrook ( dpa )

Blut strömt aus seinem Gesicht und durchtränkt die weiße Kutte. Er befühlt seinen Mund, wo vor wenigen Sekunden eine Gummikugel der Polizei einschlug. Das Bild des katholischen Pfarrers Graham Pugin ging am Dienstag durch Südafrikas Medien. Die "Holy Trinity Church" im Johannesburger Vorort Braamfontein war am Montag Schauplatz heftiger Kämpfe zwischen Sicherheitskräften und demonstrierenden Studenten. Die Proteste, die seit drei Wochen landesweit die Universitäten lahmlegen, eskalieren zunehmend.

"Er ist in ärztlicher Behandlung und bat die Studenten, seinetwegen nicht zu Gewalt zu greifen", teilte Pugins Priesterkollege Matthew Charlesworth mit. "Die Kirche war immer ein neutraler und sicherer Ort und die Vorfälle entsetzen mich."

Schutz auf Kirchengelände

Am Montag hatten etliche Studenten vor den Sicherheitskräften Schutz auf dem Kirchengelände gesucht. "Unsere Kirche hat eine Klinik für Verletzte und wir beschlossen, unsere Tore für Studenten zu öffnen, da die Polizei sie quer durch Braamfontein jagte", sagte Pugin am Morgen. Medienberichten zufolge versuchte die Polizei anschließend, den Zaun mit einem Panzerfahrzeug zu durchbrechen, um die Demonstranten zu verhaften. Die Studenten bewarfen die Sicherheitskräfte mit Steinen. Die reagierten mit Gummigeschossen.

"Wir suchten Zuflucht, stattdessen wurden wir im Kirchengarten angegriffen", sagte die Studentenführerin Shaeera Kalla. Sie feiert den Angriff als vorläufigen Sieg: "Wenn die Regierung so weit geht, um uns zu unterdrücken und zu demoralisieren, bedeutet das, wir haben einen Nerv getroffen."

Die Straßenschlachten folgten der Ankündigung von Hochschulbildungsminister Blade Nzimande vor zwei Wochen, wonach Universitäten die Gebühren für 2017 um bis zu acht Prozent erhöhen dürfen. Bereits im vergangenen Jahr war es zu Ausschreitungen gekommen. Sie hatten Staatspräsident Jacob Zuma gezwungen, die Studiengebühren für das aktuelle Unterrichtsjahr einzufrieren.

Proteste zusehends radikaler

In der vergangenen Woche wurden die Proteste zusehends radikaler. An der Universität Witwatersrand, dem Epizentrum der Proteste, beschoss die Polizei die Studenten erstmals mit Gummikugeln und trieb die Demonstranten mit Tränengas auseinander. Tags darauf bewarfen die Studenten einen am Boden liegenden Polizisten mit Steinen. Mehrere Polizeiwagen wurden demoliert und ein Wohnheim mit Molotow-Cocktails in Brand gesteckt.

Zuletzt hatten die Studentenproteste mindestens ein Leben gefordert. Ein Universitätsangestellter war kollabiert, nachdem er Tränengas eingeatmet hatte. Einige Universitäten nahmen vergangene Woche die Vorlesungen wieder auf, mussten wegen der ausschreitenden Gewalt aber wieder schließen.

Seit Wochenbeginn werden die Proteste erneut von Vandalismus und Gewalt überschattet. In den Straßen Johannesburgs steckten die Protestler einen Bus in Brand, während sie am Campus einen Computersaal überfluteten. 20 Menschen wurden am Montag verletzt.

Mindestens 25 Studenten wurden verhaftet. Seit Ausbruch der Unruhen vergangenes Jahr beläuft sich der Schaden nach offiziellen Angaben auf 39 Millionen Euro. Um die Zerstörung zu stoppen, verlangte eine Parlamentsabgeordnete zuletzt die Entsendung der Armee an die Universitäten.

Beweggründe nur vorgeschoben?

Für die Ausrufung des Ausnahmezustands ist es laut Polizeipräsident Khomotso Phahlane allerdings noch zu früh. Vor Journalisten sprach er von "Kriminalität, Einschüchterung und Übergriffen auf Polizisten" - Provokationen, auf die die Sicherheitskräfte jedoch mit "maximaler Zurückhaltung" reagieren würden.

Schon lange nicht mehr richte sich der Zorn der Studenten gegen die Studiengebühren, urteilte der südafrikanische Politologe Max du Preez am Dienstag. "Unterschwellig wirkt es mehr und mehr wie der Versuch, einen kleinen Arabischen Frühling zu schaffen und das demokratische Zeitalter auf den Kopf zu stellen." Auch dem Kapstädter Dozenten Gregor Leigh zufolge protestieren die Studenten nur in zweiter Linie für kostenlose Bildung. Viel eher richte sich ihre Wut gegen die hohe Einkommensungleichheit im Land. Die ist laut Weltbank die höchste weltweit.


Quelle:
KNA