Vor 50 Jahren ließ die SED die Leipziger Unikirche sprengen

"Wir erleben eine Barbarei"

Mit demonstrativer Willkür ließ SED-Chef Walter Ulbricht 1968 die Leipziger Universitätskirche sprengen. Bis heute ranken sich Rätsel und Fragen um die Zerstörung einer der ältesten deutschen Universitätskirchen.

Autor/in:
Karin Wollschläger
Sprengung der Leipziger Universitätskirche am 30.05.1968 / © Peter Krebs (epd)
Sprengung der Leipziger Universitätskirche am 30.05.1968 / © Peter Krebs ( epd )

Vor genau 50 Jahren, am 30. Mai 1968, mischten sich um 9.28 Uhr in Leipzigs Innenstadt zwei Geräusche: Das Läuten aller Kirchenglocken und die Detonation von zwei Tonnen Dynamit. Letzteres legte auf Geheiß des SED-Regimes die prominente spätgotische Universitätskirche Sankt Pauli gegen alle Widerstände in Schutt und Asche. Tausende Menschen sahen zu. Der Leipziger Schriftsteller Erich Loest (1926-2013) notierte: "Wir wussten: Wir erleben eine Barbarei."

Demonstrativer Akt von DDR-Willkür

Die Sprengung der vom Krieg fast unversehrten evangelischen Paulinerkirche gilt bis heute als ein demonstrativer Akt von DDR-Willkür. Die im Jahr 1240 geweihte Klosterkirche war eine der ältesten Universitätskirchen Deutschlands. Doch ihre große Anziehungskraft passte nicht ins Bild der 1953 in "Karl-Marx-Universität Leipzig" umbenannten sozialistischen Hochschule. "Das Ding muss weg", lautete das kolportierte Vernichtungsurteil des damaligen Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht.

Ein halbes Jahrhundert nach ihrer Zerstörung, nach viel Streit und zwölf Jahren Bauzeit steht inzwischen der Nachfolgebau "Paulinum", eine Kombination aus Universitätskirche und Aula. Das bundesweit einmalige Projekt wurde am 1. Dezember 2017 eingeweiht. Zum Gedenktag der Sprengung finden dort am Mittwoch ein Gottesdienst mit Sachsens evangelischem Landesbischof Carsten Rentzing, ein Konzert und ein wissenschaftliches Kolloquium statt. Zudem gibt eine Ausstellung unter dem Titel "Die ganze action hat geprägt" Einblicke in die Geschichte des traditionsreichen Gotteshauses und die Protestbewegung gegen seine Zerstörung.

Der intensive Widerstand gegen die Sprengung ist gut dokumentiert.

Forschern drängte sich dabei immer die Frage auf: Wie konnte die Kirche trotz dieser starken Protestbewegung dennoch gesprengt werden?

Sprengung war nicht zu verhindern

Die Historikerin Katrin Gurt von der Universität Leipzig ging dem nach, wertete Akten aus, sprach mit Zeitzeugen. Ihr Fazit: Die Sprengung war nicht zu verhindern. "Ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung war unwissend", so Gurt.

Bezeichnend die Aussage eines von ihrem Team befragten Zeitzeugen: Demnach hat damals die Leipziger Stadtbevölkerung "tausend andere Probleme gehabt. Die Häuser waren alle marode, die Dächer waren nicht dicht, die Taubenplage." Gegen diese Resignation sowie den politischen Willen der Stadtverordneten und der Partei kamen die Widerständler nicht an. Mit dem Beschluss 120 der Stadtverordnetenversammlung vom 23. Mai 1968 war das Schicksal der Kirche besiegelt.

Gurt bilanziert: "Mit Sicherheit hat Ulbricht den Entschluss zur Sprengung mitgetragen, aber mit genau der gleichen Sicherheit ist er nicht allein verantwortlich." Großen Einfluss habe wohl auch der hochrangige DDR-Parteifunktionär Paul Fröhlich gehabt, Mitglied des Politbüros. Zugleich belegen die Akten ein enormes Interesse der Stasi an der Kirche. Die akribischen Beschreibungen und die Masse der gesammelten Informationen über Personen dokumentierten laut Gurt "die große Angst vor der Institution Kirche".

Was geschah mit Bestatteten?

Eine andere Frage, die nach wie vor ungeklärt ist: Was geschah mit den rund 800 hochrangigen Leipziger Persönlichkeiten, die im Laufe der Jahrhunderte in der Paulinerkirche bestattet wurden. Ihre Gebeine sind seit der Sprengung verschwunden. In einer Geheimaktion - allem Anschein nach im Staatsauftrag - sollen sie wenige Tage vorher geplündert und dann abtransportiert worden sein. Die AfD-Fraktion forderte jetzt im Stadtrat, das Stadtarchiv mit Nachforschungen zu beauftragen.

Übrigens war es der Reformator Martin Luther höchstpersönlich, der 1545 die ursprünglich katholische Dominikaner-Kirche zur evangelischen Universitätskirche machte. Gleichwohl blieb die Paulinerkirche stets ein Ort, an dem beide Konfessionen Platz fanden.

Nachdem im Zweiten Weltkrieg Leipzigs Propsteikirche Sankt Trinitatis zerstört worden war, fanden die Katholiken dort für ihre Gottesdienste "Asyl".

So war es der katholische Propstei-Kantor Kurt Grahl, der als Letzter unmittelbar vor der Sprengung 1968 in der Paulinerkirche auf der historischen Scheibe-Orgel spielte, auf der schon Johann Sebastian Bach konzertierte. Grahl ließ eine Bach-Toccata erklingen - im Staub und Gebrüll der Dynamitbohrer. Als er schließlich hinausgeworfen wurde, markierte er in der Partitur seinen letzten Ton - mit einem Kreuz.


Paulinum der Universität in Leipzig in Sachsen  / © Hendrik Schmidt (dpa)
Paulinum der Universität in Leipzig in Sachsen / © Hendrik Schmidt ( dpa )

Die Universitätskirche St. Pauli  / © Jens Schulze (epd)
Die Universitätskirche St. Pauli / © Jens Schulze ( epd )
Quelle:
KNA