Himmelklar: Als oberster Laienvertreter setzen Sie sich für Mitbestimmung in der Kirche ein. Es ist kein Geheimnis, dass es da immer wieder Reibungspunkte mit Rom gibt. Andererseits sagen Sie selbst, dass Ihr Studienjahr 1978 in Rom persönlich eine sehr prägende Zeit für Sie war. Wie stehen Sie zu Rom und dem Vatikan?
Prof. Dr. Thomas Sternberg (Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken): Ach, wer ist eigentlich Rom? Das ist immer eine schwierige Frage. Ich bin sehr froh, dass wir einen Papst haben, dessen Texte ich zum größten Teil wunderbar finde. Ich hätte mir vor 20 Jahren nicht vorstellen können, dass ich meinen Kindern zur Vorbereitung ihrer Ehe einen Text des Papstes zum Thema Ehe und Familie in die Hand drücke, aber "Amoris laetitia" kann man wirklich jedem empfehlen zu lesen. Eine wunderbare Schrift. Es lohnt sich immer wieder, Texte dieses Papstes zu lesen, finde ich.
Himmelklar: Das heißt, Ihre Meinung über den Vatikan, über die Kurie und über den Papst ist unter Franziskus eine andere geworden?
Sternberg: Ich glaube, dieses Rom ist einfach ein sehr differenziertes Gebilde. Zurzeit ist es so, dass ich den Eindruck habe, es gibt große Unsicherheiten in Rom. Einmal, weil der Papst immer wieder Dinge macht und sagt, die eben in ein bestimmtes Bild von päpstlicher Regierung nicht passen - und so deshalb auch Unsicherheiten in der Kurie da sind. Zum anderen scheint es auch eine gewisse Sorge zu geben, dass da in Deutschland irgendwas passieren könnte, was man nicht richtig im Blick hat, was unkontrollierbar ist und was man nicht richtig versteht. Aber auch da gilt wieder: Diese Sorge haben längst nicht alle.
Himmelklar: Der Papst schreibt in seinem Aufruf für den Vorbereitungsprozess zur Bischofssynode in Rom, die nun zeitgleich zum Synodalen Weg stattfindet, er sei froh darüber, dass bereits in einigen Ländern synodale Verfahren eingeleitet worden seien.
Sternberg: Ja, aber es ist schwierig, da eine einheitliche Position zu finden. Unglücklich sind natürlich solche Störfeuer, die wir zum Synodalen Weg bekommen haben. Die Instruktion zum Thema Laien aus dem Sommer 2020 beispielsweise hat uns nicht weitergeholfen. Da steht das drin, was im Kirchenrecht steht. Aber dieses Kirchenrecht ist katastrophal, was die Frage der Laien angeht und bei Weitem nicht auf der Höhe der Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils.
Da muss man natürlich auch fragen: Was geschah in der Periode des fraglos bedeutenden Papstes Johannes Paul II., der gesellschaftspolitisch eine ganz, ganz große Relevanz hat, aber kirchenpolitisch Reformen beendet hat. Paul VI. war – ich behaupte das trotz dieses einen Satzes in "Humanae vitae" – der größte Reformpapst des 20. Jahrhunderts. Diese Reformen sind 1978 beendet worden.
Papst Johannes Paul II. hat zum Beispiel die ganz große Diskussion der letzten 30 Jahre für die katholische Kirche geradezu zu verhindern versucht, indem er 1994 in "Ordinatio sacerdotalis" schon die Diskussion über die Frage, ob Frauen Priester werden können, unterbinden wollte. Was natürlich nicht ging und was jetzt mit einer Emphase aufbricht, die erwartbar war, wenn man glaubt, man könne Diskussionen unterbinden. Wie anders wäre es gelaufen, wenn man zum Beispiel nach der Würzburger Synode bereits die Frauen zu Diakoninnen geweiht hätte, was problemlos möglich gewesen wäre, weil es dafür historische Vorbilder gibt. Das hätte schon sehr viel Dampf aus dem Thema genommen. Stattdessen wird nicht argumentiert, sondern einfach nur gesagt: Das gibt es nicht, machen wir nicht. Diese Verfahren haben zu schlimmen Ergebnissen geführt.
Oder dann die Frage der Segnung von homosexuellen Partnerschaften. Dieses Responsum, das im Frühjahr aus Rom gekommen ist, war ja auch überhaupt nichts Neues. Was darin steht, findet sich leider Gottes so im Katechismus und im Kirchenrecht. Erstaunlich war eigentlich, dass dieses Responsum einleitend zugab, dass es überhaupt homosexuelle Partnerschaften gibt. Das mussten sie aber sagen, weil Papst Franziskus in Ziffer 52 von "Amoris laetitia" solche Partnerschaften erwähnt und benennt. Das heißt: Manchmal kommen durch Antworten aus Rom überhaupt erst die Katastrophen und auch Reformnotwendigkeiten richtig auf den Tisch. Da merkt man plötzlich, wie weit wir auch in unserem Handeln längst entfernt sind von dem, was da an Reglementierungen immer noch gilt.
Himmelklar: Wo nehmen Sie sich die Motivation her, an diesem riesigen, feststehenden Konstrukt etwas verändern zu wollen? Ich glaube, ich wäre in Ihrer Position vollkommen frustriert, dass jetzt die gleichen Ideen auf dem Tisch liegen, die schon bei der Würzburger Synode nicht umgesetzt werden konnten. Das ist auch mein großer Kritikpunkt an der Idee Synodaler Weg, dass man doch eigentlich wissen müsste: Irgendwann kommt das große rote Stoppschild aus Rom. Wie kann man da mit Zuversicht drauf zugehen, wenn man weiß, dass sich realistisch nichts verändern wird?
Sternberg: Ich teile Ihre Grundansicht nicht. Aus zwei Gründen: Historiker wissen, dass Wandel das Normalste der Welt ist – und dass eines ganz sicher nicht stimmt: Dass etwas immer bleibt, wie es ist. Die Frage ist nur, in welchen Zeitabständen, in welchen Prozessen und mit welchen Kollateralschäden oder Kollateralnutzen Veränderung möglich wird. Aber Wandel geschieht mit Sicherheit.
Das Zweite: Ich bin insofern Politiker, als dass ich weiß, dass politische Prozesse nicht auf Plus und Minus geschaltet werden, sondern dass das tatsächlich Bewegungen und Entwicklungen sind: Das Zweite Vatikanische Konzil wäre schlechterdings nicht möglich gewesen, wenn es nicht vorher so etwas gegeben hätte wie eine liturgische Bewegung – und wenn das nicht alles theologisch vorbereitet gewesen wäre. Das war ja alles da in der liturgischen Bewegung. Und auch die dogmatischen Dinge von "Lumen gentium" waren theologisch bearbeitet.
Das heißt, wenn man nicht Diskussionen führt und Bewegungen eröffnet, dann wird es auch keine Veränderung geben. Ich halte es für völlig realitätsfremd zu glauben, Reformen und Neuerungen kämen per Erlass von oben – plötzlich irgendwie so aus der Luft. Die sind immer von unten gewachsen, sie sind immer aufgrund von Verhältnissen gewachsen, sie sind Antworten auf Verhältnisse und auf Fragen. Die Fragen, die wir etwa auf dem Synodalen Weg bearbeiten, die sind ja nur ein kleiner Teil der Problemlagen, die es gibt.
Der Synodale Weg ist ja kein genereller Reformprozess der Kirche, sondern der Synodale Weg antwortet auf eine ganz spezifische Herausforderung. Aber wenn ich sehe, dass diese Fragen mittlerweile nicht nur eine solche internationale Aufmerksamkeit, sondern auch Resonanz finden, dass die in sehr vielen Ländern inzwischen diskutiert werden und wir immer wieder hören von vielen Menschen aus anderen Ländern: "Ja, das wird bei uns genauso diskutiert, das sind genau unsere Probleme und unsere Fragen", dann werden solche Fragen natürlich auch zu einer Veränderung des Verhaltens führen.
Und das passiert prozessual. Das merken wir übrigens jetzt schon. Dass der Vorsitzende der Europäischen Bischofskommission, Kardinal Hollerich, in einem Interview sagt, er wisse nicht, ob Frauen zu Priestern geweiht werden könnten, aber eines wisse er: Man müsse darüber diskutieren, hätte ich mir vor zehn Jahren schlechterdings nicht vorstellen können. Dass das jemand aus der kirchlichen Hierarchie tatsächlich sagt.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.