Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Limburgs Bischof Georg Bätzing, sieht die Sozialenzyklika von Papst Franziskus als "Weckruf" an. Das neue Lehrschreiben sei "ein eindringlicher Appell für weltweite Solidarität und internationale Zusammenarbeit", sagte Bätzing am Sonntag in Limburg bei der Vorstellung der Enzyklika mit dem Titel "Fratelli tutti - Über die Geschwisterlichkeit und die soziale Freundschaft". Die dritte Enzyklika von Franziskus war zuvor im Vatikan veröffentlicht worden.
Im Kern gehe es darin um die Würde des Menschen, die sich aus der Gottesebenbildlichkeit heraus begründe, sagte Bätzing. "Die Enzyklika ist ein Weck-, Mahn- und Hoffnungsruf", betonte der Bischof. "Ein Weckruf, dass wir zueinander finden. Ein Mahnruf, dass wir den Nächsten nicht vergessen. Ein Hoffnungsruf, der uns auffordert, Mauern niederzureißen und Zusammenhalt zu stärken."
Papst verliere die Hoffnung nicht
Franziskus wende sich gegen nationale Abschottung und rege eine "Ethik der internationalen Beziehungen" an. Geschwisterlichkeit sei für den Papst eine "Liebe, die alle politischen und räumlichen Grenzen übersteigt" und weit entfernte Menschen genauso achte wie jene in unmittelbarer Nähe.
Eindrucksvoll sei, dass der Papst trotz einer "teilweise mit harten Worten formulierten Analyse der Welt" die Hoffnung nicht verliere. Er verweise auf die neue Wertschätzung für viele Menschen, die in der Corona-Pandemie großes Engagement bewiesen und teilweise ihr Leben eingesetzt hätten.
Impulse für den Synodalen Weg
Der Papst mache zudem deutlich, wie wichtig der Dialog zwischen den Nationen und zwischen den Religionen sei. "Papst Franziskus unterstreicht die notwendige Rückkehr zu einer 'Kultur der Begegnung' und zu echten Dialogen, weg von den 'parallel verlaufenden Monologen', die derzeit häufig ablaufen", so Bätzing.
Ein "echter und aufrichtiger Dialog" sei auch für die Kirche in Deutschland auf dem Synodalen Weg die Richtschnur, sagte der Bischofskonferenz-Vorsitzende. Die Kirche stehe zudem in der Pflicht, sich in gesellschaftliche und politische Diskussionen sowie Entscheidungsprozesse einzubringen. "Dazu fordert die Enzyklika uns weiterhin auf", sagte Bätzing.
Marx: Bedeutsamer Text "zur rechten Zeit"
Der Münchner Kardinal Reinhard Marx hat die neue Enzyklika einen hochaktuellen und bedeutsamen Text "zur rechten Zeit" genannt. Er sei dankbar, dass Papst Franziskus seine Stimme so deutlich erhebe, "um den Beitrag der Kirche, ja aller Religionen, zur Lösung der aktuellen Krisen, die unsere Welt erschüttern, einzufordern und einzubringen", erklärte Marx am Sonntag in München.
Das katholische Kirchenoberhaupt antworte angesichts der gegenwärtigen Krisen mit "einem neuen Traum der Geschwisterlichkeit und der sozialen Freundschaft", der viele Menschen in aller Welt bewege. Er schließe damit an die großen Sozialenzykliken früherer Päpste an.
Blick auf die Corona-Pandemie
Durch die Corona-Pandemie sei eine tiefe Sehnsucht nach Frieden, nach Gerechtigkeit, nach Versöhnung und vor allem nach Zusammenhalt wie in einem Brennglas deutlich geworden, erklärte der Kardinal. Dies gelte auch für die weltweite gegenseitige Abhängigkeit und den Mangel an wirksamer globaler und multilaterialer Kooperation.
Der Papst analysiere klar, dass die Pandemie die falschen Sicherheiten offengelegt habe und es kein "Weiter so, wie vorher" geben könne. Notwendig sei ein umfassend neues Denken und daraus folgendes Handeln einer geeinten Menschheitsfamilie.
Grenzen überwinden
Franziskus bleibt nach den Worten von Marx keineswegs bei der Vision stehen, sondern nehme zu aktuellen politischen, gesellschaftlichen und wirtschaften Fragen Stellung. Er thematisiere unter anderem Fragen der Migration, der Ökologie, der Digitalität, des Multilateralismus. Er äußere sich deutlich abgrenzend zu den scheinbar verlockenden und simplen ideologischen Antwortangeboten von Nationalismus, Populismus und Rassismus. Eindeutig lehne er Krieg und Todesstrafe ab.
Zugleich wiederhole der Papst seine Mahnung, keine neuen Grenzen und Mauern zwischen Menschen und Völkern zu errichten, sagte der Kardinal. Vielmehr gelte es, bestehende Grenzen gesellschaftlicher, ökonomischer und zwischenmenschlicher Natur zu überwinden. Ein Anlass für diese Enzyklika sei sicher auch die große Sorge des Papstes um den Frieden in der Welt und auch um den Frieden zwischen den Religionen. Es gehe ihm darum, alle Religionen - "auch das Christentum!" - vor der Gefahr der Instrumentalisierung durch fundamentalistische und terroristische Kräfte zu warnen und sich davon zu distanzieren.
Erzbischof Heße über die Enzyklika
Der Hamburger Erzbischof Stefan Heße würdigte die neue Enzyklika als eine Vision weltweiter Geschwisterlichkeit und Gemeinschaft aller Menschen hat. Der Papst vertrete die Überzeugung, dass es keine "Anderen" gebe, sondern nur ein einziges "Wir", das von allen Menschen gebildet werde.
Diese Vision vertrete der Papst vor allem als Anwalt der ausgestoßenen, ja weggeworfenen Menschen. Dabei richte er seinen Blick immer wieder auch auf die Migranten. Jeder einzelne von ihnen hätte das Recht, einen Ort zu finden, wo er sich entwickeln könne. Heße resümiert: "Papst Franziskus möchte uns begeistern und inspirieren, uns die weltweite Sehnsucht nach Geschwisterlichkeit zu eigen zu machen und zu verwirklichen, ganz im Sinne des Titels: fratelli tutti: Wir sind alle Geschwister."
Lob aus Österreich - Schönborn und Zulehner würdigen Enzyklika
Auch der Wiener Kardinal Christoph Schönborn und der Wiener Pastoraltheologe Paul Zulehner haben die neue Enzyklika gewürdigt. Sie stehe in großer Kontinuität der kirchlichen Lehre und erneuere die "revolutionäre Lehre von der einen Menschheitsfamilie", sagte Schönborn am Sonntag der Nachrichtenagentur Kathpress. "Der Traum der Geschwisterlichkeit und der Sozialen Freundschaft, den Franziskus vorlegt, ist urbiblisch, urchristlich und die Medizin für eine kranke Welt."
Der Papst beschreite mit diesem Dokument einmal mehr den Weg des Dialogs, der sein Pontifikat auszeichne. "In dieser Haltung wagt Franziskus gemeinsam mit Großimam Ahmad Al-Tayyeb, das Dokument von Abu Dhabi zu unterzeichnen und mit dieser Enzyklika offiziell in die Katholische Soziallehre aufzunehmen", betonte der Wiener Erzbischof. Paul Zulehner betonte, Franziskus benenne "unverblümt die Schatten der Weltlage" und biete der Weltgemeinschaft für einen neuen "Weg der Hoffnung" und der Solidarität die Begleitung der Religionen an. Dabei werde Franziskus konkret und fordere etwa Humanitäre Korridore oder leichteren Zugang zu Visa. "Dem Papst ist also wichtig, nicht nur an die schöne Wahrheit der Einheit aller Menschen zu appellieren, sondern dass diese der Horizont für ganz konkretes Handeln ist. Dann wird es zum Widerspruch, die Einheit hymnisch zu besingen und keine Kinder aus Moria aufzunehmen."
Bischof Genn: Enzyklika ist eindrückliche Mahnung zu Solidarität
Münsters Bischof Felix Genn versteht die neue Enzyklika "Fratelli tutti" als eindrückliche Mahnung zu Solidarität und Gerechtigkeit. Er mache deutlich, dass jeder Mensch dieselbe Würde habe und auch Migranten unsere Nächsten seien, erklärte Genn am Sonntag in Münster. "Nationalismus, grenzenloser Konsum, unbegrenzter Wirtschaftsliberalismus, eine Wegwerfgesellschaft, Krieg, Atomwaffen, die Todesstrafe, eine Politik der Abschottung von Migranten sowie Populismus gehören abgeschafft."
"Ein sprechendes Zeichen" ist laut Genn die Tatsache, dass Papst Franziskus die Enzyklika am Sonntag in Assisi, wo der heilige Franz lebte, unterschrieben hat. Die zentralen Botschaften des Papstschreibens entsprächen dem, was der heilige Franz schon vor 800 Jahren verkündet und gelebt habe: "Die Weltgemeinschaft braucht eine radikale Veränderung hin zur Geschwisterlichkeit."