"Wenn ich ehrlich bin, weiß ich nach wie vor nicht 100 Prozent, was richtig wäre: auf Gerüchte hören und jemanden mehr oder minder lebenslang brandmarken oder - wie vorliegend geschehen - zu sehen, dass er gute Arbeit gemacht hat, bereut und sich nichts Nachweisbares mehr hat zu Schulden kommen lassen, auf die Gefahr, dass der Nachweis vielleicht eines Tages doch gebracht wird", sagte Woelki im Interview der "Rheinischen Post" (Montag).
"War es trotzdem damals ein Fehler?"
Er müsse sich auf die Empfehlung seiner Fachleute verlassen können, trage aber die Verantwortung dafür. Beweise gebe es in dem Fall bis heute nicht. "War es trotzdem damals ein Fehler?", gab Woelki zu bedenken. Der Kardinal hatte D. 2017 trotz des Vorwurfs sexueller Übergriffe zum stellvertretenden Düsseldorfer Stadtdechanten ernannt. Daran hatte sich heftige Kritik entzündet.
Woelki sagte zudem, dass ein Erzbistum keine Ermittlungsbehörde sei. "2001 haben wir den Pfarrer befragt, er hat seinen schweren Fehler zugegeben. Er hat Reue gezeigt und sich einer psychologischen Beurteilung unterzogen, die Unbedenklichkeit bescheinigte." Weitere Gerüchte habe der Pfarrer "vehement abgestritten". Woelki fragte: "Was tun Sie jetzt als Personalverantwortliche bei der Entscheidung 16 Jahre später?"
Unabhängige Untersuchung
Der Kardinal verwies zudem auf das in einem Rechtsstaat geltende Prinzip, wonach ein Mensch solange als unschuldig gelte, bis ihm das Gegenteil bewiesen werde. "Wegen dieses rechtsstaatlichen Prinzips können wir nicht aufgrund eines Verdachtes beurlauben", sagte er mit Blick auf die mittlerweile erfolgte Beurlaubung von D. "Als es neue Erkenntnisse gab, haben wir diese sofort an die Staatsanwaltschaft weitergegeben. Wir unternahmen in dieser Zeit nichts, auch keine Beurlaubung, damit die Staatsanwaltschaft ermitteln konnte und ein möglicher Täter nicht gewarnt würde. Als dann aber der Fall öffentlich wurde, haben wir den Pfarrer freigestellt."
Woelki erklärte, dass vor 20 Jahren andere Regeln gegolten hätten: "Da musste dieser Vorfall aufgrund des Alters des Jugendlichen nicht nach Rom gemeldet werden. Heute muss es - Gott sei Dank - gemeldet werden, auch wenn es damals nach all dem, was belegbar ist, kein Missbrauch war." Gerade lasse er eine diözesane Regelung erarbeiten, nach der auch solche Fälle gemeldet werden müssten, "die rein formal keinen Anfangsverdacht im kirchlichen Recht begründen". Er habe zudem eine "unabhängige Untersuchung mit objektiven Kriterien ins Leben gerufen, die zeigt, wo wir weggeschaut und Fehler gemacht haben, wo vertuscht wurde und wo wir uns um Gerechtigkeit für Betroffene nicht gekümmert haben".