domradio.de: Sie haben im März deutliche Kritik am kirchlichen Engagement für den Klimaschutz geübt. Wo können und müssen die Kirchen denn mehr tun?
Prof. Dr. Ottmar Edenhofer (stellv. Direktor und Chefökonom des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung): Ja ich glaube die Kirchen haben eine ganz wichtige Aufgabe. Vor allem auch in Bereichen der Entwicklungshilfe, der Entwicklungspolitik. Hier sind die Kirchen ganz wichtige zentrale Akteure. Ich denke da zum Beispiel an Institutionen wie Misereor die sich das Thema Klimawandel und Klimapolitik schon sehr zentral zum Fokus gemacht haben. Aber Misereor ist zum Beispiel auf vielen kirchlichen Kreisen dafür kritisiert worden und das zeigt, dass in den Gemeinden und auch im kirchlichen Bewusstsein noch nicht ausreichend verstanden worden ist, wie Armut, Klimawandel und Ungleichheit zusammenhängen.
Man kann heute nicht mehr sinnvoll für Armutsbekämpfung eintreten, wenn man nicht versteht, dass der Klimawandel vor allem in Subsahara, Afrika, im nahen und mittleren Osten die Lebensbedingungen radikal verschlechtert. Man kann auch nicht über Fragen nachdenken, wie man Zuzug aus diesen Ländern begrenzt, wenn man nicht sich vor Augen führt, dass wir durch den ungebremsten Klimawandel die Lebensbedingungen genau in den Ländern verschlechtern, aus denen viele Flüchtlinge kommen.
Und vor diesem Hintergrund, glaube ich, ist es wichtig, dass gerade die Kirchen dieses Problem Armut, Klimawandel, Entwicklungshilfe sehr viel integraler betrachten und nicht nur über die Frage nachdenken, ob in der ein oder anderen Kirchengemeinde vielleicht auch PV, also Photovoltaik, genutzt werden soll.
domradio.de: Sie haben gesagt die Kirchen bleiben im Alltag weit hinter den Ansprüchen der Enzyklika "Laudato si" von Papst Franziskus zurück. Woran hapert es denn am meisten? Sie sagten gerade eine PV-Anlage zum Beispiel reicht nicht aus. Was fordert denn Papst Franziskus? Was sollen die Kirchen tun?
Edenhofer: Was der Papst verlangt ist zunächst mal, dass wir das Problem in der ganzen Tragweite wahrnehmen. Die Enzyklika ist ja im Wesentlichen gegliedert in sehen, urteilen, handeln. Also wir müssen zunächst mal das Problem sehen und zwar eben in der ganzen Breite und auch in der ganzen Tiefe. Das Zweite, also der nächste Schritt ist dann urteilen. Was folgt daraus? Und ich glaube, dass zum Beispiel die deutsche Kirche, auch die Bischöfe, sich mit dem Thema kaum beschäftigt haben, dass sie da kaum einen Zugang haben.
Ich denke, dass die Bischofskonferenz sich in der Zukunft mit dem Thema sehr genau und sehr viel intensiver beschäftigen wird, aber, dass es dann auch um die Frage geht: Was sollen wir jetzt eigentlich tun? Und ich habe das vorher schon angeschnitten. Es ist sehr sehr wichtig, dass die Kirchen begreifen, dass sie ein gesellschaftlicher Akteur sind. Ein wichtiger gesellschaftlicher Akteur. Da geht es dann um Weiterbildung und Bewusstseinsbildung. Es gibt immerhin Diözesen, die ganze Klimaschutzkonzepte vorstellen. Das ist ein guter und wichtiger Schritt.
Aber dann muss eben einen Schritt weiter gedacht werden. Dann müssen die Kirchen eben auch dafür sorgen, und zwar durch eine öffentliche Debatte, dass zum Beispiel CO2 einen Preis bekommt, dass wir über eine ökosoziale Steuerreform nachdenken. Und, dass es da nicht nur um die Frage geht, ob bei uns das ein oder andere teuer wird, sondern, dass wir zum Beispiel auch darüber reden, dass man allein durch die Abschaffung der Subventionen für die fossilen Energieträger allein in siebzig Ländern einen universellen Zugang zu sauberem Trinkwasser finanzieren könnte.
Der Papst sagt immer wieder, wie wichtig es ist, dass wir uns dafür einsetzen, dass die Sustainable Development Goals (Ziele für nachhaltige Entwicklung) vor allem so umgesetzt werden, dass sie dem Ärmsten nutzen. Und da hat die Kirche aus meiner Sicht, gerade die deutsche Kirche, eigentlich eine hervorragende Ausgangsposition. Die deutsche Kirche lebt in einem Land, das zu einem erheblichen Teil für Emissionen verantwortlich ist. Wir diskutieren in Deutschland über die Frage des Kohleausstiegs.
Aber es geht dann eben einen Schritt weiter, es geht dann eben auch um die Frage, wie eben nachhaltige Entwicklungsziele, Zugang zu sauberem Trinkwasser, sauberem Strom in anderen Ländern finanziert werden könnten. Alles das sind Themen, die sich die Kirche zu Eigen machen könnte, wo sie durch die Hilfswerke, durch die Pfarreien Erhebliches zur Bewusstseinsbildung beitragen kann.
domradio.de: Sie haben "Laudato Si" als revolutionär bezeichnet. Hat der Papst denn da die richtigen Worte gefunden oder versteht ihn seine Kirche einfach nicht?
Edenhofer: Ich glaube, dass der Papst sehr wohl die richtigen Worte gefunden hat, denn der Papst hat ja hier einerseits sozialethisch, fast sozialphilosophisch, argumentiert indem er zum Beispiel sagt: Wir müssen lernen, dass die Atmosphäre das gemeinsame Eigentum, das Gemeinschaftseigentum der ganzen Menschheit ist. Ein riesen Schritt. Das ist so bislang kaum in der Klimarahmenkonvention genannt und verstanden worden. Und dann sagt der Papst eben auch: Es bedarf eines Wandels des Lebensstils.
Aber dieser Wandel des Lebensstils hat nicht nur damit zu tun, dass wir jetzt weniger Fleisch essen, - was sehr sehr sinnvoll wäre, wenn wir das tun würden - dass wir weniger konsumieren. Sondern es hat damit zu tun, dass wir auch begreifen, wie unser lokales Handeln mit der globalen Ebene zusammenhängt. Und ich meine wir werden ja nach der nächsten Bundestagswahl in Deutschland über Kohleausstieg diskutieren, wir werden auch über die Frage reden, wie denen geholfen werden kann, die dort unter Umständen Arbeitsplätze verlieren.
In all diesen Bereichen ist ein orientierendes Wort der Kirche hilfreich. Ich glaube, der Papst selber spricht so, dass ihn seine Kirche verstehen könnte, denn das ist ja geradezu verblüffend: Die Enzyklika "Laudato si" hat ja ein überwältigendes Echo außerhalb der Kirche gefunden. Und wenn die Leute außerhalb der Kirche den Papst so gut verstehen, dann glaube ich könnt man auch erwarten, dass er in der Kirche verstanden wird.
domradio.de: Papst Franziskus fordert eben auch einen Systemwechsel, er verurteilt einen zerstörerischen Kapitalismus. Wie kann sich dieses System denn wandeln um tatsächlich die Schöpfung im Endeffekt zu bewahren?
Edenhofer: Ja, da gibt es natürlich ganz viele Schritte, die da zu gehen sind, aber ich glaube das Wichtigste ist, dass wir begreifen müssen, dass wir ökonomisch und ökologisch bereits von der Substanz leben. Und das ist ja zunächst mal ein sehr profunder, wichtiger Gedanke der Nachhaltigkeit. Das heißt ja nichts anderes: Man soll nicht von der Substanz leben, sondern, es geht darum, dass wir so wirtschaften, dass wir die Substanz, also die Natur, unser physisches Kapital, die Fähigkeiten von Menschen erhalten und eher vergrößern.
Das ist ja die grobe Linie und ich glaube, was dazu gehört ist eben, dass auch die Güter, die wir täglich konsumieren auch den richtigen Preis haben, dass also dort auch die Kosten alle angerechnet sind, die der Konsum eines Gutes verursacht. Das ist eigentlich und bei Licht betrachtet nichts anderes, als die Wiederbelebung der alten Lehre vom gerechten Preis. Es geht nicht nur darum, dass die Preise effizient sind, sondern, es geht auch darum, dass wirklich alle Kosten enthalten sind.
Wenn Sie sich vor Augen führen, dass zum Beispiel die Tonne CO2 weltweit im Schnitt mit 150 US-Dollar angesichts des Klimawandels subventioniert wird, dann können Sie da leicht erfassen, dass wir in unserem täglichen Konsum, in unserem täglichen Spar- und Investitionsverhalten einfach die falschen Preise zugrunde legen. Und das wäre aus meiner Sicht ein ganz wichtiger Schritt, dass wir uns dazu bekennen und dafür arbeiten, dass wir ein Wirtschaftssystem bekommen, wo die richtigen und die gerechten Preise wirken können, wo sie auf den Märkten die Signale bieten, damit Menschen sich dann eben auch bei ihren Kaufentscheidungen, bei ihrem Sparverhalten richtig verhalten können.
domradio.de: Schauen wir auf die Weltklimakonferenz, die jetzt in Bonn vor der Tür steht. Wäre hier ein stärkerer kirchlicher Lobbyismus wünschenswert?
Edenhofer: Ja ich glaube, dass wäre sehr wünschenswert und da hat ja unser Papst Franziskus schon einiges getan. In früheren Zeiten war der Vatikan auf diesen Konferenzen überhaupt nicht sichtbar. Bei der Paris-Konferenz war immerhin Kardinal Turkson da. Es hat einen eigenen Delegationsleiter gegeben. Die vatikanische Delegation hat in Paris eine enorm produktive Rolle gespielt. Ich erinnere nur an die Intervention des Vatikans um die Polen an Bord zu holen, Nicaragua davon zu überzeugen, dass das Klimaabkommen gut und vernünftig ist.
Also die Stimme der Kirche ist dort sehr wohl verstanden worden und auch sehr willkommen. Und vor dem Hintergrund glaube ich, dass ein intelligenter und ein aufgeklärter Lobbyismus zugunsten der Ärmsten sehr gut wäre. Es wäre nicht gut, wenn der Vatikan selbstsüchtig für sich selbst Lobbyismus betreiben würde, aber wenn er im Grunde genommen in diesen Verhandlungen die Stimme derer wäre, die keine Stimme haben, dann wäre das aus meiner Sicht ein enorm wichtiger Beitrag.
domradio.de: Sie haben gesagt, ohne die vereinigten Staaten geht es nicht. Jetzt sind die USA aber aus dem Pariser Abkommen ausgestiegen. Wie wird denn die internationale Gemeinschaft jetzt darauf reagieren?
Edenhofer: Die internationale Gemeinschaft hat darauf schon reagiert. Wir haben ja schon in Hamburg beim G20-Gipfel gesehen, dass es der Bundeskanzlerin sehr wohl gelungen ist, einen Dominoeffekt zu verhindern. Es hat ja zu keiner Austrittsbewegung aus dem Paris-Abkommen geführt und es ist ja sogar so, dass jetzt die Amerikaner wieder anfangen drüber nachzudenken, ob sie nicht doch irgendwie im Paris-Abkommen bleiben könnten. Es ist ja doch eine interessante Kehrtwendung, die sich da im Augenblick vollzieht.
Vor dem Hintergrund denke ich nicht, dass jetzt China oder Indien wegen Donald Trump aus dem Abkommen aussteigen werden. Aber es geht ja gar nicht so sehr um die Frage, ob die austeigen. In Bonn bei der COP 23 geht es vor allem um die Frage, ob diese Staaten bereit und fähig sind, ihr Anstrengungsniveau zu erhöhen. Denn was wir in Paris gesehen haben bei den freiwilligen Selbstverpflichtungen das reicht natürlich mit Nichten aus um auch annährend das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen.
Nur mal so als Zahl: Das Zwei-Grad-Ziel verlangt, dass wir in etwa unseren Kohlenstoffausstoß auf 800 Gigatonnen begrenzen. Und in Paris haben die Staaten eigentlich schon beschlossen, dass sie bis 2030 allein 600 Gigatonnen verbrauchen wollen. Also die Rechnung kann nicht aufgehen. Es muss also jetzt dazu kommen, dass die Staaten schrittweise ihre Anstrengungen erhören. Und ich denke, dass über Kurz oder Lang die vereinigten Staaten sich dem nicht verweigern können. Da muss man halt Geduld haben. Wir haben schon oft gesehen, dass es da Schwierigkeiten gegeben hat. Und ich hoffe sehr, dass es in der COP 23 zumindest ein Fahrplan sichtbar wird, nach dem die Anstrengungen schrittweise erhöht werden können.
Das Interview führte Jann-Jakob Loos.