Der Kölner Interventionsbeauftragte Oliver Vogt klärt auf.
DOMRADIO.DE: Die Deutsche Bischofskonferenz hatte ja schon 2002 Leitlinien für den Umgang mit Missbrauch herausgegeben. Nun heißt es: Die Zahl der Missbrauchsvorwürfe gegen katholische Priester sei seit 2009 nicht rückläufig. Hat also die Präventionsarbeit nichts genützt?
Oliver Vogt (Interventionsbeauftragter Erzbistum Köln): Zunächst finde ich es gut, dass mit den Zahlen, die in der MHG-Studie erhoben worden sind, jetzt auch wissenschaftlich weitergearbeitet worden ist. Das gibt uns in der der Kirche wichtige Impulse. Für das Erzbistum Köln kann ich bestätigen, dass wir gleichbleibend hohe Zahlen haben. Im Bereich der Laien-Mitarbeiter haben wir sogar einen deutlichen Anstieg von Verdachtsmeldungen im Erzbistum Köln. Und das ist aus unserer Sicht darauf zurückzuführen, dass die Präventionsmaßnahmen sehr wohl Wirkung zeigen. Es gibt eine deutlich erhöhte Sensibilität für die Thematik. Viel mehr Menschen finden durch die klaren Strukturen, die wir seit 2010 eingerichtet haben und die klare Umsetzung der Leitlinien, den Weg zu uns. Von daher können wir die Zahlen bestätigen, kommen aber in der Bewertung zu einem etwas anderen Ergebnis.
DOMRADIO.DE: Erklären Sie uns ganz kurz: Was ist das für eine Studie, die jetzt zu diesem Ergebnis kommt?
Vogt: Professor Dreßing und die Forscher, die die MHG-Studie durchgeführt haben, haben jetzt noch einmal die Zahlen der Meldungen hochgerechnet und mit den Gesamtzahlen der deutschen Bevölkerung verglichen. Wir müssen also bei den Zahlen, die jetzt vorgelegt werden, zum einen berücksichtigen, dass es wirklich eine Hochrechnung ist. Und zum anderen, dass sich das Zahlenmaterial, das die Forscher verwendet haben, auf dem Zeitraum der Erhebung der Studie bezieht, also bis zum Jahr 2015 geht.
Wenn man dagegen berücksichtigt, dass seit 2010 sukzessive und sehr intensiv an der Umsetzung der Präventionsmaßnahmen gearbeitet wurde, dann stimmt das mit unserer Einschätzung gut überein, dass die Meldezahlen höher sind.
Im Erzbistum Köln ist es allerdings bei den Klerikern anders als das, was die Studie sagt: Bei uns gehen zwar gleichbleibend viele Meldungen ein, aber die Vorwürfe beziehen sich zu fast 90 Prozent auf Vorfälle, die weit vor dem Jahr 2009 stattgefunden haben sollen. Bezogen auf aktuelle Vorwürfe aus der Zeit von 2009 bis 2015 kann ich die Ergebnisse der Studie für unser Erzbistum nicht bestätigen.
DOMRADIO.DE: Klerikale Macht, Zölibat und rigide kirchliche Sexualmoral werden von Dreßing genannt. Kann man das so als Ursachen für den sexualisierten Missbrauch stehen lassen?
Vogt: Das ist eine schwierige Diskussion, die in der Kirche und in der Wissenschaft sehr kontrovers geführt wird. Ich denke, man kann stehen lassen, dass es verschiedene Faktoren gibt, die eine Missbrauchshandlung durch einen Kleriker begünstigen. Da kann der Zölibat eine Rolle spielen, da kann ein falsch verstandenes Machtverständnis eine Rolle spielen. Die Studie hat gesagt, dass die meisten Übergriffe geschehen, nachdem ein Priester schon über zehn Jahre im Amt ist. Also nicht am Anfang, sondern im Rahmen seiner Tätigkeit. Das sind Dinge, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. Die spielen eine Rolle. Aber jetzt zu sagen, es sei nur der Zölibat oder nur der Machtmissbrauch, das ist schwierig. Das spielt alles zusammen und führt dann zu diesen Missbrauchshandlungen. Hier sind wir aufgefordert, noch viel, viel intensiver zu arbeiten und uns mit den grundlegenden Fragestellungen zu beschäftigen.
DOMRADIO.DE: Es ist aber wohl auch so, dass es gegen Ständige Diakone - also verheiratete Männer - keine Vorwürfe wegen sexualisierten Missbrauchs gibt.
Vogt: Ich schließe ja gar nicht aus, dass der Zölibat eine Rolle spielt. Ich will ihn nur nicht als alleinige Ursache im Raum stehen lassen. Im Hinblick auf die Diakone muss man zudem deutlich sagen, dass eine deutlich geringere Zahl von Diakonen als von Priestern erfasst worden ist. Wenn man dagegen die Zahl der Laienmitarbeiter, Lehrer, Erzieher, Jugendgruppen-Leiter und so weiter hinzu nimmt und auch da einen deutlichen Anstieg der Fallmeldungen feststellt, muss man die Zölibat-These noch einmal kritisch bewerten. Aber noch einmal: Ich stelle überhaupt nicht in Abrede, dass der Zölibat ein Faktor ist.
Das Interview führte Carsten Döpp.