Hätte Andreas Baader sich einen langen Bart wachsen lassen und wäre mit einem gestohlenen Sportwagen nach Rakka gerast, wenn es in den 1970ern schon die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) gegeben hätte? "Wer weiß", schreibt der Londoner Politikwissenschaftler Peter Neumann in seinem Buch "Der Terror ist unter uns". Der ehemalige Dschihadist David Vallat erklärte in seinen Memoiren sogar selbst: "Wir hätten auch Militante der Action Directe oder der RAF werden können."
Terroristische Attentate waren in der Nachkriegsgeschichte nichts Außergewöhnliches, sagt die Historikerin Carola Dietze. "Das ließ in den 1990er Jahren nach, und an diesen Zustand hatten wir uns gewöhnt." Während es der RAF vor 40 Jahren eher um innereuropäische Konflikte gegangen sei, zielten die heutigen Auseinandersetzungen eher auf globale Probleme. "Das verstärkt vielleicht das Gefühl von Hilflosigkeit", so Dietze.
Vergleiche der Terrororganisationen seien "Quatsch"
Vergleiche zwischen RAF und IS seien "Quatsch", sagte der Politikwissenschaftler Wolfgang Kraushaar kürzlich im Deutschlandradio. Das zeige sich einerseits in der Zahl der Todesopfer, andererseits in der Auswahl der potenziellen Ziele. Während die RAF Symbolfiguren für Macht und Geld angegriffen habe, wollten die Dschihadisten möglichst viele Menschen umbringen - und würden dadurch schwerer einschätzbar.
Zudem, betont der Historiker Sebastian Gehrig, wurde die Bedrohung in den 1970er Jahren als "aus der Gesellschaft kommend" wahrgenommen, "während sie heute oft als etwas Externes betrachtet wird". Die RAF habe Misstrauen zwischen den Generationen gesät, der IS zielt auf eine Spaltung zwischen Ethnien und Religionen ab, fügte die Kunsthistorikerin Charlotte Klonk in der "Zeit"-Beilage "Christ & Welt" hinzu.
"Krieger und Verteidiger einer guten Sache"
Also mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten? Neumann sieht durchaus manche Parallele. So hätten religiöse Akteure gewisse Prinzipien und Methoden des politischen Terrors für ihre Zwecke entdeckt, etwa extreme Brutalität und eine "Enthumanisierung" des Gegners. Zudem verstünden sich sowohl politische als auch religiöse Extremisten als "Krieger und Verteidiger einer guten Sache", schreibt Neumann.
Diese vermeintlich "gute Sache" betrifft die Täter meist nicht unmittelbar selbst, analysiert der französische Islamwissenschaftler Olivier Roy in seinem neuen Buch "Ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod". Die Attentäter der vergangenen Jahre seien zumeist in Europa aufgewachsen, solidarisierten sich aber mit benachteiligten Glaubensgeschwistern im Gazastreifen, in Libyen oder Afghanistan.
Vom Selbstverständnis zur medialen Wahrnehmung
Roy zufolge zielt die IS-Propaganda genau darauf ab: Sie zeigt oftmals einen Zusammenschnitt von Gräueltaten "aus sämtlichen Kriegsgebieten der Welt", für die die westlichen Länder - oft ahistorisch als "Kreuzfahrer" bezeichnet - verantwortlich seien. So entstehe eine "'panoramaartige' Vision einer weltumspannenden, leidenden" Gemeinschaft der Muslime. Auch die RAF-Terroristen seien persönlich keine Opfer des Kapitalismus gewesen, so Roy. Gehrig erinnert daran, dass die RAF den Anspruch formulierte, "die Befreiungskämpfe der Dritten Welt zu unterstützen" - auch dies eher eine gefühlte als eine tatsächliche Verbindung.
Unbestreitbar verbunden sind indes die Geschichte des Terrors und die Geschichte seiner medialen Wahrnehmung. Terrororganisationen hätten immer schon versucht, "ihr Anliegen zu verbreiten, indem sie uns ihre Bilder aufzwingen", sagt Klonk. Der "religiöse Terror des 21. Jahrhunderts" habe dies perfektioniert: Der Wirkmacht seiner Bilder könne sich kaum jemand entziehen. Das bekannteste Beispiel dafür seien die Bilder vom 11. September 2001.
"Weitermachen und das Leben leben"
Auch im Umgang mit neuen Formen des Terrors - etwa Anschlägen mit Fahrzeugen - helfen, so scheint es, am ehesten altbewährte Rezepte. Der Schriftsteller Salman Rushdie sagte vor kurzem der "Welt am Sonntag", ihn habe es als jungen Mann, der aus Indien nach England kam, sehr beeindruckt, wie die Briten mit IRA-Bombenanschlägen umgingen. Es gebe keine andere Lösung als die, "weiterzumachen damit, sein Leben zu leben. Dem Terror nicht erlauben, die Welt zu verändern, in der wir leben. Sonst gewinnen die Terroristen."