Drei. Zwei. Eins. Die Menge stürmt los - um nach nur wenigen Metern von den Veranstaltern zurückgepfiffen zu werden. Ein Problem mit der Technik. Was bei den meisten Läufen für nervösen Ärger an der Startlinie gesorgt hätte, bewirkt bei den Teilnehmern des "größten jüdisch-arabischen Rennens" in Jerusalem für heiteres Gelächter. Dabei hätte die Zusammensetzung des Starterfelds in einer Stadt wie Jerusalem durchaus das Potenzial für Spannung in anderer als sportlicher Hinsicht.
Läufer in Kippa und Hidschab
Bunt durcheinander drängen sich jüdische und palästinensische Jerusalemer, teilen sich Kippa und Hidschab gleichberechtigt den Luftraum. Mit 700 Teilnehmern sind so viele Läufer wie nie zuvor der Einladung der "Läufer ohne Grenzen" gefolgt. Wie um eine unausgesprochene Einheit zu unterstreichen, tragen die meisten von ihnen das mit der Startnummer ausgegebene Laufshirt: leuchtend blau für alle, bedruckt mit dem dreisprachigen Logo der 2014 gegründeten jüdisch-arabischen Initiative.
Die üblichen Stände mit den Neuheiten der Sportbranche sucht man vergeblich, ebenso große politische Statements. Die Botschaft, so scheint es, kommt ohne große Worte aus. "Es geht nicht um Politik", sagt Jitzhak Karasik. Musa Alian nickt zustimmend. Der 20-jährige Jude und sein 19-jähriger muslimischer Freund sind "Läufer ohne Grenzen". Das Rennen, sagen sie, "bringt auch Leute zusammen, denen die Verpflichtung zu wöchentlichen Trainings zu hoch ist".
"Die Stadt ist weder eins noch einig"
Drei. Zwei. Eins: Startschuss, zweiter Versuch. Der Weg führt die Läufer vom südlichen Ende des Stadtteils Abu Tor entlang des "Peace Forest" bis zu den Anhöhen von Jabel Mukaber. Ziegen grasen unter Olivenbäumen. Auf der anderen Seite dominiert die goldene Kuppel des Felsendoms im Morgenlicht die Silhouette Jerusalems. Irgendwo hier, in der Idylle, verläuft die Grenze zwischen West und Ost, unsichtbar zunächst, mit jedem Schlagloch unter den Füßen zunehmend spürbar.
Spätestens, als das Abwasser an den Beinen hochspritzt, das ungeklärt die Schotterpiste überquert, ist die schwierige Realität Jerusalems bei allen Sinnen angekommen.
"Die Stadt ist weder eins noch einig", sagt Avraham, der zum ersten Mal dabei ist. Um mehr von der entspannt-familiären Atmosphäre zu haben, schlägt er ein langsameres Lauftempo an, als er es in anderen Rennen täte. "Viele Menschen in Jerusalem leben nebeneinander her", sagte er und spricht von mangelndem gemeinsamen Raum - "nicht im Sinne von Infrastruktur: Es fehlen geteilte Freude, Werte und Kooperation.
Und dann kommt dieses Rennen, organisiert von einer jugendlichen Basis, und eröffnet eine einzigartige Chance: Laufen und Anbändeln, Feiern und Teilen. Das ist es, was ich bewundere; deshalb laufe ich mit."
Initiative als Reaktion auf Gewaltwelle 2014
Die "Läufer ohne Grenzen" entstanden als Reaktion auf die Welle der Gewalt im Sommer 2014. Eine gemeinsame Laufrichtung im wörtlichen Sinne als Antwort auf Rassismus und Diskriminierung: Damit scheint ein Nerv getroffen in einer Stadt, die zunehmend unter der Spaltung leidet. "Läufe wie dieser sollten das angemessene Lebensmodell werden: Menschen aller Lebensläufe feiern gemeinsam", sagt Jael, die zum zweiten Mal teilnimmt.
Genau darum geht es den Organisatoren: Nicht nur die "üblichen Verdächtigen" wollen die "Läufer ohne Grenzen" anziehen, nicht zu den wöchentlichen Trainings und nicht zu den Wettkämpfen. "Wir wollen nicht ein weiterer Treffpunkt der politischen Linken werden, sondern wir suchen den Jerusalemer Mainstream", formuliert Jitzhak.
Alle Läufer zeigen: "Es ist möglich, es anders zu machen"
Die Teilnehmer scheinen ihm Recht zu geben. "Praktizierend oder nicht, alle Glaubensrichtungen und Religionen, geschlechter- und generationenübergreifend, reife Läufer und unerfahrene", bestätigt Jael, "alle laufen zusammen und zeigen: Es ist möglich, es anders zu machen - und wir dürfen die Hoffnung nie aufgeben!"
"Wir sind nicht politisch", wiederholen Jitzhak und Musa, die privat längst alle Grenzen überschritten und sich über das gemeinsame Hobby angefreundet haben. "Es geht uns nicht mal um Frieden: Wir wollen nur, dass wir uns einander annähern!"