DOMRADIO.DE: Was macht die so genannte Milieukrippe in der Kölner Kirche Sankt Maria Lyskirchen aus?
Benjamin Marx: Das ist eine Krippe, die das Weihnachtsgeschehen in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts verlegt hat – mit aktuellen Bezügen zur heutigen Zeit.
DOMRADIO.DE: Sie wollen also das Weihnachtsgeschehen ganz aktuell interpretieren, Jahr für Jahr etwas anders, auch 2017 wieder.
Marx: Ja, und zwar indem wir die Geschichte der Königin von Saba aufgreifen. Sie wird in einem unserer Deckenfresken hier in Maria Lyskirchen aus dem 13. Jahrhundert dargestellt. Berühmt geworden ist die Königin von Saba durch ihre Vision zur Kreuzlegende. In diesem Jahr erscheint sie an unserer Krippe. Die Brücke zur Gegenwart schlägt die Tatsache, dass ihr Königreich Saba, das im 5. Jahrhundert nach Christus untergegangen ist, das Gebiet des heutigen Jemen umfasste, der heute ja eines der ärmsten Länder dieser Welt ist.
DOMRADIO.DE: Beschreiben Sie doch die Königin von Saba, wie sie in Sankt Maria Lyskirchen gezeigt wird...
Marx: Die Königin von Saba in Lyskirchen ist fein gekleidet; sie trägt ein weißes Gewand und einen dunkelblauen Mantel mit wertvollen Stickereien, mit einem weißen Schleier und einer Krone. Sie begegnet Salomon und erzählt ihm die Geschichte vom Baum des Lebens.
DOMRADIO.DE: Der Jemen ist nicht nur eines der ärmsten Länder der Welt, sondern seit über zwei Jahren herrscht dort ein schlimmer Bürgerkrieg…
Marx: Es ist ein Krieg, an dem Staaten wie die USA, Großbritannien oder auch Deutschland sehr viel Geld verdienen. Im Jemen führt mit Saudi Arabien eines der reichsten Länder der Welt Krieg gegen eines der ärmsten. Saudi Arabien bekämpft den Jemen und boykottiert dessen Wirtschaft, so dass keine Lebensmittel mehr ins Land kommen – und das mit Waffen, die unter anderem aus Deutschland geliefert werden.
DOMRADIO.DE: Und auch darauf nehmen Sie in der Krippe noch einmal Bezug, nicht nur in der Gestalt der Königin von Saba…
Marx: Teil der Krippe ist eine Litfaßsäule – und da haben wir einen sehr bemerkenswerten Artikel der Neuen Zürcher Zeitung plakatiert, der es klar auf den Punkt bringt: "Im Jemen ist Krieg, aber es interessiert im Westen keinen, weil aus dem Jemen keine Flüchtlinge zu uns kommen."
DOMRADIO.DE: Das Ganze ist eingebettet in Szenen aus dem Köln der 30er Jahre. Was für Personal gehört dazu?
Marx: Wir haben in unserer Krippe zum Beispiel einen zeitgenössischen Schutzmann, einen jüdischen Apotheker, eine Wäscherin, eine Frau aus dem Veedel, eine Schneiderin. Wir haben die "helligen Knäächte und Mägde", Waisenkinder, eine Franziskanerin, einen Pfarrer. Im Grunde sind alle vertreten, die ein Kölner Viertel in den 30er Jahren hier am Rheinauhafen ausgemacht haben.
DOMRADIO.DE: Also wirklich die einfachen Leute, die im Veedel gelebt haben. Immer wieder tauchen auch Figuren auf, die am Rand der Gesellschaft stehen…
Marx: Da haben wir zum Beispiel die Figur eines Romamädchens. Sie repräsentiert die Menschen am Rand, genauso wie der Flüchtlingsjunge. Außerdem ist da ein Junkie, der einen Stern hält. Der Erlös der Schwimmkerzen, die an der Krippe angezündet werden, geht übrigens an das "Notel" in Köln, an die Notschlafstelle für obdachlose Drogenabhängige. Wir haben Figuren aus der Bibel, aus dem Alten und dem Neuen Testament. Außerdem sind da symbolische Figuren von Menschen, die hier so gelebt haben könnten, aber auch aus historischen Figuren, die hier im Viertel tatsächlich gelebt haben. Außerdem gibt es Figuren von noch lebenden Personen, wie das Romamädchen Crina und den Flüchtling David aus Eritrea.
DOMRADIO.DE: Sie betreuen die Milieukrippe seit vielen Jahren. Wie erleben Sie die Reaktionen der Besucher?
Marx: Zur Krippe in Lyskirchen kommen in der Adventszeit Menschen, die das Erzählende dieser Krippe vom 1. Advent bis zum 2. Februar miterleben wollen. An Weihnachten selbst kommen dann in auch Leute, die eigentlich einfach nur ein Idyll sehen wollten, aber dann doch mit der Realität des Lebens konfrontiert werden.
DOMRADIO.DE: Hat die Krippe von Maria Lyskirchen in diesem Jahr eine bestimmte Botschaft?
Marx: Menschen nicht zu vergessen, denen es noch schlechter geht, als wir glauben, nur weil diese Menschen für uns nicht sichtbar sind. Der Jemen hat 27 Millionen Einwohner und davon leiden 80 Prozent unter der aktuellen Hungersnot.
DOMRADIO.DE: Wie sieht die Krippe an Heiligabend aus?
Marx: Die Besucher erwartet dann das berühmte Engelchen, das über der Krippe schwebt und mit seinem Spruchband verkündet "Üch eß der Heiland jebore". Die Krippe blüht dann auf, weiße Alpenveilchen schmücken die Krippe als Versinnbildung des Jesaja-Spruches "Die Wüste soll blühen" - wie der Libanon. Alpenveilchen blühen tatsächlich im Gebirge des Libanon. Vor dem Kreuzbild stehen dann Osterglocken. Wir haben im Stall das Weihnachtsgeschehen, wir haben die Verkündigung, wir haben einen Kulissenteil mit einer Kreuzgruppe, die an das Sterben Jesu erinnert und davor die Osterglocken, die die Auferstehung symbolisieren.
Das Interview führte Hilde Regeniter.