Jordanier Kildani neuer katholischer Patriarchalvikar für Israel

"Es gibt keinen echten Friedensprozess"

​Die Christen im Heiligen Land wollen als Brückenbauer wirken, so der neue Patriarchalvikar für Israel, Hanna Kildani. Im Interview sagte er dazu im israelisch-palästinensischen Konflikt sei die Kluft zu tief und werde immer breiter.

Israelische Siedlung Gielo / © Harald Oppitz (KNA)
Israelische Siedlung Gielo / © Harald Oppitz ( KNA )

KNA: Pater Kildani, was sind Ihre ersten Prioritäten im neuen Amt?

Hanna Kildani (Patriarchalvikar für Isreal): Ich kenne die Stadt nicht und bin ohne Agenda gekommen, um mich in den Dienst ihrer Menschen zu stellen: meiner eigenen Gemeinschaft, der Christen der verschiedenen Konfessionen und aller Bewohner.

KNA: Wie würden Sie die gegenwärtige Situation an ihrem neuen Amtssitz beschreiben?

Kildani: Mein erster Eindruck ist, dass es in Nazareth alte und gute Beziehungen zwischen Christen und Muslimen gibt. Die Menschen leben auf eine gute Weise zusammen, und man fühlt keine großen Spannungen. Der Lebensstandard ist höher als im Westjordanland und in Jordanien; die Arbeitslosenrate ist niedriger. Gleichzeitig sind die Christen in Nazareth und Galiläa eine kleine Minderheit neben zwei Mehrheitsgruppen. Spürbar ist eine gewisse Zukunftsangst.

KNA: Wie äußert sich diese Angst?

Kildani: Die Erwachsenen von heute können in dieser Situation und in dieser Mehrheiten-Minderheiten-Gesellschaft leben; sie haben Erfahrung darin. Gleichzeitig stellen sie sich die Frage, was morgen sein wird. Sie fragen sich, ob ihre Kinder eine Zukunft hier haben werden oder ob sie auswandern sollen. Die Christen von Nazareth unterscheiden sich da nicht von den Christen in anderen Ländern des Nahen Ostens. Der Blick in die Zukunft basiert auf denselben Fragen, Unsicherheiten und Wahrscheinlichkeiten wie in Jordanien, im Libanon, in Syrien oder im Irak. Im Traum leben die meisten Christen an irgendeinem anderen Ort, auch wenn sie in der Realität nicht abwandern.

KNA: Wie werden Sie dieser Herausforderung begegnen?

Kildani: Sie ist Teil unserer Mission. Ich werde zunächst zuhören und zu verstehen versuchen. Allerdings bin ich nicht das einzige Element. Mehr als Religion spielen politische, soziale und wirtschaftliche Aspekte eine Rolle. Das heißt, die Kirche ist Teil des Ganzen, hat aber nicht alle Schlüssel in der Hand. Eines unserer wichtigen Projekte setzt an einem der Hauptprobleme an: Es ist schwierig geworden, im Heiligen Land bezahlbaren Wohnraum zu finden. Deshalb investieren wir als Kirche erheblich in diesen Bereich.

KNA: Ein anderes wichtiges Projekt sind die Schulen, bei deren Finanzierung es zuletzt Auseinandersetzungen mit Israel gab. Gibt es hier Entwicklungen?

Kildani: Israel ist ein harter Verhandlungspartner, also müssen auch wir hart und mutig in die Verhandlungen gehen. Wir bitten den israelischen Staat schließlich nicht um Almosen, sondern um die Erfüllung seiner Pflichten gegenüber seinen Bürgern. Ich bin zuversichtlich, dass wir zu einer Einigung kommen. Ein Teil des Geldes ist inzwischen geflossen; über den Rest wird verhandelt.

KNA: Israel hat Pläne publik gemacht, die mehrheitlich jüdisch bewohnte Stadt Nazareth-Illit und den Berg Tabor mit einer Seilbahn zu verbinden. Wie beurteilen Sie aus Sicht der Christen in der traditionellen Pilgerstadt Nazareth diese Pläne?

Kildani: Es ist zu früh zu beurteilen, welche Auswirkungen ein solches Projekt auf den Pilgertourismus in Nazareth haben könnte. Dafür bräuchte es christlicherseits die Evaluation durch einen Fachmann. Grundsätzlich ist es aber so, dass Pilgerreisen nicht mehr nur eine religiöse Sache sind, sondern ein Geschäft. Der religiöse Akt ist das Gebet und Verweilen an einer Heiligen Stätte. Die praktischen Fragen wie jene des Transports von einer Stätte zur anderen werden von vielen Beteiligten unter wirtschaftlichen Aspekten behandelt. Entsprechend ist auch die Entscheidung der israelischen Regierung eine wirtschaftliche. Die Besucher können von einer solchen Seilbahn profitieren, weil sie die Reisezeit verkürzt und eine gute Aussicht bietet.

KNA: Neben wirtschaftlichen Fragen spielt auch der Konflikt eine Rolle für die Ängste der Christen. Sehen Sie Chancen für einen Frieden?

Kildani: Seit Oslo gibt es keinen richtigen Friedensprozess. Das heißt, man erhält den Prozess am Leben - aber es geht um den Prozess selbst, um das Verhandeln, nicht um Frieden. Die Palästinenser verhandeln und verhandeln und gehen immer als Verlierer hervor. Wenn es einen Frieden geben wird, wird es ein politischer und kein vom Volk getragener sein - und damit kein richtiger Frieden. Denn ein echter Frieden basiert auf Gerechtigkeit und wird von einer Generation und der ihr nachfolgenden Generation getragen.

KNA: Und die Rolle der Christen darin?

Kildani: Die Christen stehen dazwischen. Sie versuchen, Friedensbauer zu sein und die Kluft zwischen den Völkern zu überbrücken. Ich befürchte aber, dass die Kluft zu tief ist und immer breiter wird. Auch wenn es kleine Initiativen gibt, sehe ich keine Brücken, sondern immer mehr Mauern, Sicherheitsmauern, politische Mauern. In meinen Studienzeiten reisten wir einfach nach Jerusalem. Heute gibt es junge Generationen, die die Stadt nie gesehen haben. Was die Zukunft bringen wird, weiß ich nicht - aber der Blick auf die vergangenen 50 Jahre stimmt nicht optimistisch.

KNA: Und trotzdem haben Sie Ihr neues Amt angenommen.

Kildani: Für mich als Christen und Priester ist es Gottes Wille, hier zu leben, im Herzen der Christenheit und der Mutterkirche. Diesen Willen Gottes will ich mit Freude annehmen, auch wenn die Situation manchmal schwierig ist. Das Heilige Land ist vielleicht nicht der beste Platz auf der Welt. Es fehlt uns an Wasser und natürlichen Ressourcen, wir haben viele soziale Spannungen und Kriege. Aber als Land Jesu ist es mein Land, und mein Leben ist hier im Dienst der Gläubigen.


Hanna Kildani / © Andrea Krogmann (KNA)
Hanna Kildani / © Andrea Krogmann ( KNA )
Quelle:
KNA