Wann haben Sie eigentlich das letzte Mal jemandem einen Brief geschrieben? Ich musste - als ich mir vor Kurzem diese Frage stellte - überraschend lange darüber nachdenken, wann ich mich zum letzten Mal hingesetzt und jemandem einen ganz persönlichen, ausführlichen, von Herzen kommenden Brief geschrieben habe. E-Mails, WhatsApps und andere Messenger-Dienste - kein Problem. Die gehören ganz selbstverständlich zu unserem Alltag - so selbstverständlich, dass uns die schnelle Kommunikation manchmal geradezu überfordert. Jeder hat zu jeder Zeit erreichbar und verfügbar zu sein. Und wir haben uns angewöhnt, auf Nachrichten auch unmittelbar Antworten zu erwarten.
Ganz anders ist das mit Briefen. Sich die Zeit zu nehmen, jemandem zu schreiben - erst recht einen handgeschriebenen Brief - ist eine bewusste Unterbrechung unseres Alltags. Einen Brief, statt einer schnellen E-Mail zu schreiben, drückt aus: Ich habe mir Zeit genommen, habe mir genau überlegt, was ich schreiben möchte und wie ich es am besten ausdrücke. Solche Unterbrechungen im Alltag sind wichtig, um nicht den Überblick und den Blick aufs Wesentliche zu verlieren. Es tut gut, sich ab und an Zeit zu nehmen und zu überlegen: Was ist mir wichtig? Und was ist mir sogar so wichtig, dass ich es mit jemandem teilen will?
Zu Beginn der Fastenzeit habe ich Ihnen einen solchen Brief geschrieben. Zugegeben - ein Hirtenbrief des Bischofs ist nicht ganz dasselbe, wie ein Brief an eine einzelne Person. Aber auch für den Fastenhirtenbrief gilt, was alle Briefe ausmacht: Ihn zu schreiben, ist eine bewusste Unterbrechung und sein Inhalt ist persönlich und kommt von Herzen. Er ist herausgehoben aus der Flut der alltäglichen Kommunikation. Für uns als Kirche sind die 40 Tage der vorösterlichen Bußzeit so eine Unterbrechung: Die Routine unserer Gottesdienste wird durch deren bewusst schlichte Gestaltung unterbrochen. In unseren Alltagsgewohnheiten konzentrieren wir uns auf das Wesentliche, indem wir auf bestimmte Genussmittel oder Gewohnheiten verzichten. Die Fastenzeit ist eine Einladung an jede und jeden Einzelnen und an uns als Gemeinschaft der Kirche, Atem zu holen und uns zu fragen: „Entspricht mein Leben - entspricht unser gemeinsames Tun - dem, wozu Gott mich und uns geschaffen und berufen hat?“ Ich lade Sie heute herzlich ein, sich mit mir unterbrechen zu lassen.
Lassen Sie uns die vor uns liegenden Wochen der Vorbereitung auf Ostern dafür nutzen, den Auftrag Jesu neu zu entdecken, das Evangelium allen Menschen zu verkünden. Lassen Sie uns die Fastenzeit nutzen, um Erfahrungsorte des Glaubens zu schaffen. Orte, an denen wir einander teilhaben lassen an unseren Hoffnungen und Sehnsüchten, an unseren Sorgen und Nöten. Wo der Glaube an Gott miteinander geteilt, vertieft und neu entdeckt werden kann. Und vielleicht nehmen Sie sich in der Fastenzeit auch einmal die Zeit, einen Brief zu schreiben. Z.B. an Jesus, in dem Sie ihm all das schreiben, was für Sie und Ihren Glauben wesentlich ist und was Sie deshalb froh und zufrieden sein lässt.
Ihr Rainer Woelki
Erzbischof von Köln